: Lehren aus der Weimarer Republik-betr.: "Nette Rassisten gibt's nicht", Leserbriefe taz vom 9.10.92
betr.: „Nette Rassisten gibt's nicht“, Leserbriefe von F.Teppich und S.Wirner, taz vom 9.10.92
Die Grünen/AL rufen gemeinsam mit der PDS und dem Bündnis90 zu der Allparteiendemonstration am 7.11. in Berlin auf. Diese Entscheidung fiel nach ausführlicher und gründlicher Diskussion der derzeitigen politischen Lage in Deutschland.
Unsere Situation erscheint nicht ganz einfach. Gemeinsam mit den Brandstiftern von der CDU auf der Straße zu stehen und der SPD eine Woche vor ihrem Bundesparteitag die Möglichkeit zu geben, sich ein reines Mäntelchen umzuhängen, ist nicht unsere Sache. Dennoch möchten wir vorschlagen, an der Demonstration am 7. November teilzunehmen, und im Folgenden unsere Gründe dafür darlegen:
Mit wachsender Sorge beobachten wir, daß bei vielen Menschen die Bereitschaft nachläßt, gesellschaftliche Widersprüche auszuhalten. Wir müssen verhindern, daß am Ende das Leitbild einer autoritär geführten, nationalen Gemeinschaft über die offene, demokratische und multikulturelle Gesellschaft triumphiert.
Die Bedrohung der Demokratie nimmt erneut ihren Ausgang von dem Versuch, die universelle Geltung der Menschenrechte mit rassistischen und nationalistischen Begründungen einzuschränken. Es gilt, den Anfängen zu wehren, damit nicht abermals Juden, Sinti und Roma, Flüchtlinge und ImmigrantInnen, aber auch Lesben und Schwule, Behinderte und schließlich Gewerkschaften und alle Demokraten aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen werden.
Wenn die Akzeptanz von Demokratie weiterhin nachläßt und die Bereitschaft zur gewalttätigen, diktatorischen Lösung gesellschaftlicher Konflikte zunimmt, kann der Tag kommen, an dem wir von Faschisierung der Gesellschaft sprechen müssen.
Die Bereitschaft von fast 20 Prozent der Deutschen, die Rechtsradikalen zu wählen, kann nicht länger als unschuldiges Protestverhalten abgetan werden. Die Lehren aus den Erfahrungen der Weimarer Republik zu ziehen, bedeutet für uns in erster Linie, Demokratie und Menschenrechte mit allen zu verteidigen, die dazu bereit sind: unabhängig davon, ob sie sich den Konservativen, Liberalen oder Linken zugehörig fühlen.
Die historische Erfahrung lehrt aber auch, daß man dem Rechtsradikalismus nicht den Wind aus den Segeln nehmen kann, indem man ihm entgegenkommt. Die politischen Parteien können heute den Rassismus nicht eindämmen, indem sie das Asylrecht auf dem Altar der Ausländerfeindlichkeit opfern.
In diesem Sinne rufen wir auf, an der Demonstration am 7.11. teilzunehmen und sie zu einer Manifestation für den Erhalt des Artikels 16 des Grundgesetzes zu machen. Jochen Esser,
Sprecher des Geschäfts-
führenden Ausschusses
der Grünen/AL
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