: Numerus clausus in nebligem Gelände
Wegen der vom Wissenschaftssenator selbstherrlich festgelegten Zulassungszahlen droht an den Universitäten eine Prozeßwelle/ Bildungschancen versinken im Zulassungsgrecht ■ Von Christian Füller
Charlottenburg. Der Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) bewegt sich mit den von ihm festgelegten Zulassungszahlen rechtlich auf dünnem Eis. An der Technischen Universität (TU) kommt möglicherweise eine Prozeßwelle abgelehnter BewerberInnen ins Rollen, vermutet der Asta der TU. „Die Leute rennen uns die Bude ein“, sagt Bernd Fick vom Asta zum derzeitigen Andrang in der Rechtsberatung.
Möglicherweise werden die Klagen bald auf ungewöhnliche Weise erledigt. Der Richter der zuständigen Kammer des Verwaltungsgerichts, Ulrich Monjé ist jedenfalls höchst verwundert, daß vom Senat oder der TU bislang die Kapazitätsberechnungen nicht vorgelegt wurden, die den Zulassungszahlen zugrundeliegen. Notfalls werde er über die Klagen der Studenten ohne die Unterlagen entscheiden. Dann hätten die Klagen große Chancen auf Erfolg.
Fragwürdig sind die Zulassungszahlen nicht nur bildungspolitisch, sondern auch vom Verfahren her. Am 10. August dieses Jahres hat Senator Erhardt seine Zulassungszahlen erlassen, veröffentlicht wurden sie am 22. August. Dennoch galt als letzter Bewerbungstag der 15. Juli. „Das ist rechtlich etwas kompliziert“, hieß es dazu im Immatrikulationsbüro der TU. Es sei nicht auszuschließen, daß Bewerber deswegen ihre Frist unwissentlich versäumten.
Beim Asta sieht man dies als den wesentlichen Grund dafür, daß die Zahl der StudienbewerberInnen im Wintersemester gesunken sind. Weniger als erwartet bewarben sich in sechs technischen Disziplinen, darunter so gefragte wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Verkehrswesen, sowie in nahezu allen geisteswissenschaftlichen Fächern an der TU.
Auch im Immatrikulationsbüro herrscht nicht eitel Freude über Erhardts Maßnahme. Der Wissenschaftssenator hat von der TU unbeschränkt gelassene Fächer mit der „begrenzten Zahl“ (Numerus clausus) versehen. Er drückte für einige Fächer die von der TU zuvor festgelegten Zulassungszahlen. So etwa bei den Landschaftsplanern: statt der vorgesehenen 160 NeuanfängerInnen wurden nur 120 zugelassen. Im Immatrikulationsamt der TU urteilt man über diese Aktion des Wissenschaftssenators: „Der wollte das politische Signal setzen, daß die Studienplätze runtergefahren werden.“
Im Juni dieses Jahres hatte der Senat beschlossen, die Zahl der Berliner Studienplätze von 115.000 auf 100.000 zu reduzieren. Dies kann über Stellenstreichungen beim lehrenden Personal realisiert werden. Rechtlich zweifelhaft ist es aber, ob Erhardt mit der eigenmächtigen Festsetzung der Zulassungszahlen die Zahl der Studierenden direkt beschneiden darf.
Der aus dem baden-württembergischen Musterländle nach Berlin gekommene Erhardt kann dieses Signal nur setzen, weil er in einem ausgesprochen nebligen Gelände operiert: dem der Zulassungs- und Vergabeverordnungen. Die Verwaltungsjuristen in den Immatrikulationsämtern holen tief Luft, bevor sie die Materie erläutern. An entscheidenden Stellen, etwa jener monströsen Formel, mit der die Zulassungszahl errechnet wird, brauchen sie die Hilfe professioneller Statistiker. In Gesetzeskommentaren heißt es denn auch, das Zulassungsrecht gleiche einem Glasperlenspiel, das aus rechtsstaatlichen Gründen gespielt werde.
Fest steht, daß hinter dem undurchsichtigen Regelwerk, auf dessen Grundlage alljährlich die Zulassunsgzahlen neu berechnet werden müssen, ein elementares Grundrecht steht: Artikel 12 des Grundgesetzes, der die Berufsfreiheit garantiert, und dazu gehört auch die freie Wahl der Ausbildungsstätte. Das Verfassungsgericht entschied in den siebziger Jahren, daß für die Universitäten daraus die Verpflichtung erwachse, ihre Ausbildungskapazitäten voll auszunutzen. Und der Staat habe durch die Förderung des Hochschulneubaus dafür zu sorgen, daß die Menschen ihren garantierten freien Zugang zu den qualifizierenden Einrichtungen auch verwirklichen können. Ob er das ausreichend getan hat, ist eine müßige Frage angesichts der Überlast, die jeden sinnvollen Lehrbetrieb an den Universitäten erdrückt.
Auch der TU-Asta befüchtet, daß wegen der Überlast an den Unis „in einigen Studiengängen der Studienbetrieb gänzlich zum Erliegen kommt.“ So steht es in einem jetzt veröffentlichten Grundsatzpapier zum Numerus clausus, in dem die Autoren – entgegen früheren Positionen – für eine Begrenzung der Immatrikulationszahlen plädieren. Die momentane Erhardtsche Politik empfinden die Asta-Leute aber als eine Chaotisierung der Hochschulen. Sie wollen ihr nicht tatenlos zusehen und prüfen daher, ob und wie sie eine Normenkontrollklage gegen die Rechtsverordnungen Manfred Erhardts führen könnten. „Der darf an dem Punkt nicht durchkommen“, sagte Bernd Fick vom Asta, sonst geht das hehre Ziel „Bildung für alle“ endgültig flöten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen