: Immer mehr rechtsextremistische Straftaten
■ Innensenator Heckelmann über Neo- und Altnazis, Skins und etablierte Braune
Berlin. Zwischen „Rechtsradikalen“ und „Rechtsextremen“ gibt es einen feinen Unterschied. Die organisierten Rechtsradikalen wie die Reps sitzen im Abgeordnetenhaus, schwören auf die Verfassung und halten ihr Klientel unter Kontrolle. Die organisierten Rechtsextremen hingegen tummeln sich in Hinterzimmerkneipen, sind untereinander verzankt und planen — jede Gruppe für sich — Anschläge auf Asylbewerberheime und den demokratischen Staat. So ist, überspitzt formuliert, jedenfalls die offizielle Sichtweise.
Im kürzlich vorgelegten Verfassungsschutzbericht für das Land Berlin 1991 und auch gestern, bei einer Pressekonferenz des Innensenators Heckelmann, wurde mit keinem Wort diese fließende Braunzone problematisiert. Im Visier der Verfassungsschützer sind ausdrücklich nur die Rechts- und Linksextremisten, die, wie Heckelmann sagte, „politisch und administrativ mit allen Instrumenten des demokratischen Rechtsstaates bekämpft werden müssen“.
Nach Aussage Heckelmanns sind in Berlin gegenwärtig über 200 Neonazis bekannt. Von ihnen seien etwa 30 in der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP)“ organisiert. Die „Wiking Jugend“ habe etwa 10 Mitglieder, die „Nationale Alternative“ 20 und die „Nationalistische Front“ ebenfalls um 20 Mitglieder. Der Rest verteile sich auf Bünde wie „Wotans Volk“, „Völkischer Freundeskreis“, „Deutsche Jugendinitiative“, „Klu-Klux-Klan“ etc. Dazu gebe es in der Stadt noch etwa 600 Skinheads, von denen mindestens die Hälfte der rechtsextremen Szene zuzuordnen sei.
Sie stellen „ein bedeutendes sicherheitspolitisches Problem“ dar, und ihre Gewaltbereitschaft wachse. Im Jahre 1991 verübten Skins 94 rechtsextremistische Straftaten, von Januar bis März 1992 aber schon 54. Insgesamt gab es laut Heckelmann 1991 genau 389 „Gesetzesverletzungen mit erkenn- oder vermutbarem rechtsextremistischem Hintergrund“. Eine zentrale oder überregionale Steuerung der Straftaten „in Berlin oder von Berlin aus“ sei bisher jedoch nicht erkennbar.
„Heiliges Gastrecht“ schützen
Zum rechtsextremistischen Lager werden aber nicht nur Neonazis und Teile der Skins gerechnet, sondern auch etablierte Braune. Dazu gehören laut Heckelmann etwa 1.000 Personen. Die „Nationalfreiheitlichen (DVU)“ seien mit etwa 800 Personen die größte rechtsextremistische Organisation, gefolgt von den „Nationaldemokraten“ mit etwa 200 Mitgliedern und der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ mit 140 Mitgliedern. Dazu kommen noch eine Reihe von Vereinen, wie beispielsweise die „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen“ mit einer insgesamt unbekannten Zahl von Mitgliedern.
Angesichts der Bedrohung von Rechts dürfe es kein „Zurückweichen des Staates“ geben, sagte Heckelmann. Er plädierte für eine stärkere Polizeipräsenz, die die rechtsextreme Szene „verunsichere“. Das Land Berlin habe in Zusammenarbeit mit der Sozialverwaltung bereits ein Schutzsystem für die 200 Berliner Wohnheime für Asylbewerber aufgebaut. Auf diese Weise seien versuchte Brandanschläge im August und September in Hohenschönhausen verhindert worden.
Insgesamt dürfe der Rechtsextremismus nicht nur als polizeiliches Problem gesehen und auch nicht mit der Asylfrage verknüpft werden. Das auf der Grundlage geltender Gesetze „heilige Gastrecht“ von Ausländern sei zu schützen, sagte Heckelmann. Zugleich hoffe er auf eine schnelle Entscheidung über die von ihm befürwortete Änderung des Artikels 16 im Grundgesetz. aku
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