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■ Die IG Metall erkennt langsam die Zeichen der ZeitFragen ohne Antworten

Die Zeiten der einfachen Wahrheiten, der einfachen Fronten und Rezepte sind vorbei. Dies ist die Botschaft des Gewerkschaftskongresses der IG Metall in Hamburg: Drei Jahre nach dem 9.November 1989 reicht es nicht mehr aus, mit den Unternehmern wortradikal um die Verteilung des Zuwachses zu streiten und den Mitgliedern ein stetiges Wohlstandsplus in Aussicht zu stellen. Es reicht nicht mehr aus, in bewährter Klassenkampfrhetorik die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Wirtschaftssystems anzuprangern, obwohl diese gegenwärtig auch im eigenen Land deutlicher als je zuvor in den letzten dreißig Jahren hervortreten. Die Geschlossenheit des traditionellen gewerkschaftlichen Weltbildes bietet mehr denn je nur noch ein Zerrbild der Realität – einer krisenhaften sozialen Realität, in der viele Menschen der gewerkschaftlichen Intervention bedürfen.

Solidarpakt, Demokratiepakt – die Schlagworte des Gewerkschaftstages signalisieren eine neue Bereitschaft der IG Metall zur Kooperation. Die Krise der deutschen Gesellschaft, die im wirtschaftlichen Zusammenbruch Ostdeutschlands ihren Ausgangspunkt genommen hat, erfordert neue Konzeptionen gewerkschaftlicher Politik, die in der Lage sind, reale Interessengegensätze in der eigenen Mitgliederbasis politisch zu verarbeiten. Denn mit der einfachen Lohnangleichung in Ostdeutschland sind diese Widersprüchlichkeiten keineswegs aufgehoben. Das soziale Problem in Ostdeutschland, und von dort ausgehend zunehmend auch im Westen, besteht ja nur zum geringeren Teil in den Lohnrückständen, sondern vielmehr in der explodierenden Massenarbeitslosigkeit aufgrund des flächendeckenden Zusammenbruchs der ostdeutschen Industrie. Die politische Konsequenz daraus ist die Forderung nach einer offensiven Industriepolitik für Ostdeutschland. Diese Politik aber kann die Gewerkschaft am allerwenigsten durchsetzen. Sie kann Konzepte entwickeln – und die IG Metall hat das getan –, aber für eine auch nur annähernde Realisierung ist sie auf die korporative Einbindung der Bundesregierung und der Unternehmer angewiesen. „Wir brauchen den Solidarpakt, nicht die Unternehmer.“ Mit dieser Klarstellung Steinkühlers sind die Interessenkonstellationen präzise beschrieben.

Es ist sehr die Frage, ob die in Hamburg versammelte mittlere Funktionärsschicht oder gar die Mitglieder der IG Metall schon begriffen haben, was dies für die gewerkschaftliche Politik in Westdeutschland bedeutet. Natürlich lebt ihre Kampf- und Konfliktfähigkeit vor allem von der westdeutschen Mitgliederbasis, die schon in der Vergangenheit die Hauptlast der Vereinigungskosten getragen hat. Aber was kann die IG Metall, können die Gewerkschaften diesen Mitgliedern in Aussicht stellen außer der unabweisbaren Notwendigkeit wachsender Transferleistungen nach Ostdeutschland, nach Osteuropa, in die Länder der armen Welt? „Trauen wir uns heute schon zu sagen, daß wir auch bereit sind, die Substanz zu teilen?“ Steinkühler hat diesmal die Frage nur angetippt. Die Antwort aber entscheidet über die Zukunft der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Martin Kempe

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