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Semantikattacke vor dem Lauschangriff

Das Bundespresseamt läßt CSU-Politiker und Bundeskriminalamt für den Lauschangriff werben/ „Semantik ist wichtig“, mahnt das Bundeskriminalamt  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Bonn (taz) – Die Broccolicremesuppe war versalzen, die Tischrede gepfeffert. „Semantik ist wichtig“, schärfte Hans-Ludwig Zachert, Präsident des Bundeskriminalamtes, seinen Zuhörern ein. Rede man vom „Lauschangriff“ oder von „bemannten und unbemannten Wanzen“, dann klinge das „martialisch und unsympathisch“, es wecke beim Bürger „nicht gerade positive Gefühle“. Es seien die Gegner dieser Ermittlungstechniken, die solche Begriffe gezielt in Umlauf brächten. „Wir dagegen sprechen vom Einsatz elektronischer Mittel.“

Vor dem Lauschangriff kommt die Semantikattacke. Sie galt gut zwei Dutzend Journalisten aus allen Teilen der Republik, die das Bundespresseamt nach Bonn eingeladen hatte.

„Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität“ hieß das Thema, als „Fachtagung“ war es deklariert, und so sprachen neben Zachert eine Reihe weiterer hochkarätiger Fachleute: der bayerische Innenminister Edmund Stoiber (CSU), der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Eduard Lintner (CSU) und – Pluralismus! – FDP-Staatssekretär Rainer Funke aus dem Justizministerium.

Funke redete gegen den Lauschangriff, alle anderen sprachen für den Einsatz elektronischer Mittel. Die Auswahl ging in Ordnung. CSU-Mann Lintner vertrat CDU-Innenminister Rudolf Seiters, CSU-Mann Stoiber repräsentierte „das föderale Element“ – so zumindest begründete Organisator Jörg Schrötter die Überrepräsentanz der kleinsten unter den drei Bonner Koalitionsparteien.

Erst vor drei Wochen war das neue Gesetz zur Bekämpfung organisierter Kriminalität (Org KG) in Kraft getreten, das den großen Lauschangriff auf Wohnungen ausdrücklich nicht erlaubt – wohl aber das Verbot der Geldwäsche und einen „kleinen Lauschangriff“, bei dem Wohnungen dann abgehört werden dürfen, wenn sich verdeckte Ermittler in ihr aufhalten. War schon genug Zeit, um Erfahrungen mit den neuen Bestimmungen zu sammeln? Nein, Lintner und Stoiber wußten es immer schon besser.

Ohne den Lauschangriff, so Stoiber, sei „die Chance gleich Null“, der Mafia-Offensive und der rapide anwachsenden organisierten Kriminalität zu begegnen, die vom Wegfall der Grenzkontrollen in EG-Europa noch kräftig gefördert werde. Gemeinsam mit dem SPD-regierten Nordrhein- Westfalen wolle Bayern einen neuen Vorstoß in den Bundesrat einbringen, nur die FDP müsse ihre „Blockadehaltung“ überwinden und endlich „die Notwendigkeiten“ einsehen.

Dazu zählte Stoiber das Recht für verdeckte Ermittler, selbst Straftaten zu begehen – sonst drohe ihnen das Schicksal, „enttarnt und bedroht zu werden“. Stoibers Parteifreund Lintner sah das genauso.

Er hatte zuvor den Hintergrund dieser Forderungen in kräftigen Farben modelliert. Die organisierte Kriminalität habe längst die Dimension einer „gesamtgesellschaftlichen Bedrohung“ angenommen. Rauschgifthandel, Waffenhandel, organisierte Ringe, die mit Zuhälterei, Prostitution und Menschenhandel Profite erwirtschaften, Autodiebstahl, Schutzgelderpressung, Falschgeldherstellung, die illegale Entsorgung von Sondermüll bis hin zum Schmuggel mit Nuklearmaterialien – all diese Delikte garantierten hohe Gewinne und könnten gewerbsmäßig organisiert werden.

Mit der Öffnung der Grenzen in West und Ost drohe Deutschland zum „kriminalgeographischen Zentrum“ all dieser Aktivitäten zu werden – zumal 5.000 Bundesgrenzschutzbeamte für die „Abdichtung“ der Ostgrenze fehlten. Gegen die Sprachbarriere helfe nur eins: die Wanze in der Wohnung.

Natürlich, es gebe Störsender. Natürlich, die Mafiosi könnten ihre Gespräche vor der Haustür führen. Trotzdem konnte Stoiber Erfolgsstatistiken aus den USA zitieren: In 80 Prozent aller Fälle hätte dort erst das Abhören die Beweise geliefert, die eine Verurteilung von Tätern aus der organisierten Kriminalitätsszene erlaubt hätten.

Stoiber argumentierte mit der Furcht vor dem Rechtsruck: Es nutze den Falschen, wenn die Regierung jetzt nicht handele. Denke denn keiner daran, fragte dagegen Funke, daß in einigen Jahren eine Regierung der „Republikaner“ die Möglichkeiten nutzen könne, die man jetzt mit Änderungen am Grundgesetz schaffe?

Ende Oktober will der Bundesvorstand seiner Partei noch einmal über den Lauschangriff beraten. Abenteuerliche Vermutung, der Termin des Bonner Semantikangriffs könnte damit etwas zu tun haben.

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