: Störfall in litauischem AKW
■ Meiler vom Tschernobyl-Typ verlor radioaktives Wasser/ Dritte Abschaltung innerhalb von drei Monaten/ Regierung will AKW noch jahrzehntelang betreiben
Stockholm/Vilnius (dpa/AP/ taz) — Ein Reaktor des litauischen Atomkraftwerkes Ignalina ist gestern am späten Vormittag abgeschaltet worden, nachdem radioaktiver Dampf aus einem Leck ausgetreten war. Nach Angaben der Schwedischen Strahlenschutzbehörde SKI sind 150 Liter schwachradioaktiver Flüssigkeit pro Stunde ausgetreten. Ob Radioaktivität aus dem Meiler in die Umwelt ausgetreten ist, war gestern nicht mit Sicherheit zu klären. Margareta Hallencreuts vom schwedischen SKI sagte gegenüber der taz, daß die zulässigen Grenzwerte nach ihren Informationen außerhalb des Reaktors nicht überschritten worden seien. Nach Angaben von dpa leckte es bereits seit neun Tagen — vermutlich im Bereich der Wasser-Dampfabscheider, wo der Dampf nach dem Durchlauf durch die Turbinen wieder zu Wasser verwandelt wird.
Der Leiter des AKWs, Viktor Schewaldin, sagte dagegen in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP, das Alarmsystem des Reaktors habe bei Austritt des Dampfes den Reaktor abgeschaltet. Da der Störfall in einem Gebäudeteil eingetreten sei, in dem niemand arbeite, seien keine Angestellten der Strahlung ausgesetzt gewesen. Die erhöhte Radioaktivität sei auf diesen Bereich begrenzt geblieben. Der Reaktor werde voraussichtlich mindestens fünf Tage abgeschaltet bleiben.
Die beiden Blöcke von Ignalina mit je 1.500 Megawatt Leistung sind die größten Atomkraftwerke auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Der andere Block der 1983 und 1987 gebauten Meiler ist bereits im Juli abgeschaltet worden, weil aus einem Leck im Gassystem radioaktives Helium ausgetreten war. Im September war das AKW wegen eines Rohrbruchs einer schwachradioaktiven Wasserleitung erneut vom Netz genommen worden. Die litauische Regierung plant, die Reaktoren noch 20 Jahre laufen zu lassen. Noch 1990 war die Internationale Atomenergiebehörde IAEA aus Wien in Ignalina zu Besuch und hatte dem Kraftwerk einen Persilschein ausgestellt: die Sicherheitssysteme befänden sich auf einem „international akzeptablem Standard.“
Die Regierung argumentiert, daß das Land die Hälfte seines Stroms aus Ignalina, 90 Kilometer nördlich von Vilnius, bezieht. Skandinavische Experten unterstützen die Litauer „mit provisorischen Maßnahmen“, so Peter Angelius vom Darmstädter Ökoinstitut. Da das Hilfsprogramm nicht viel kosten dürfe, vermittle es nur das Gefühl, den Reaktor etwas sicherer zu machen. Zahlreiche westliche Politiker, darunter auch Umweltminister Klaus Töpfer, verlangen seit langem die Schließung des Kraftwerks. aje
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