: Ein unbedingt neugieriger Blick
„Fotografien aus dem amerikanischen Westen“ – Eine Fotoausstellung von Wim Wenders im Amerikahaus ■ Martin Kieren
Der Himmel auf den Fotografien ist gehalten in diesem kalten Blau einer Farbpalette, die es in Europa nicht zu geben scheint. Dieses Blau konturiert die vorbeiziehenden, dann aber doch wieder verharrenden Wolken so scharf, daß man meint, das Weiß dieser großen Wattebäusche sei aus diesem Blau mit einer scharfen Klinge herausgeschnitten. Darunter, unter dem festen, nur manchmal zum Horizont hin heller werdenden Blau, stehen, wie nicht abgeholte Container, wie verlassene Höhlen einer unbekannten Spezies, einsame Hausreihen, Tankstellen, Wohnwagen, Automobile. Wird der Blick auf den Horizont einmal freigegeben, sieht man den dünnen leuchten Faden, der die Welt der Götter mit der der Unterwelt verbindet: ferne Bergketten im graublauen Dunst, durchstoßen von einer Reihe Freileitungsmasten, deren leicht durchhängendes Kabel das Land dort hinten mit Strom versorgt.
Es gibt auch andere Ausschnitte: eine kubische Plastik mit weiß-leuchtender Putzfläche auf grauem Asphalt, eine eingeschobene, senkrechte Fläche aus grellroten Ziegeln, ein Schriftzug in Augenhöhe, parallel zur Straße – und darüber wieder dieses Blau, dieses Ultramarin, an dem Yves Klein so recht keine Freude gehabt hätte –: es gibt hier keine mediterrane Stimmung, es ist auch kein Mensch zu sehen, alles scheint leer, die Städte, die Landstriche, die Lastwagen, die Tankstellen. Man weiß nicht so recht, kommt sich verlassen vor, sucht nach dem Grund für diese Leere: ist hier gerade Siesta, sind die Menschen geflüchtet in den Schatten vor zu großer Hitze; – oder ist dieser Ort längst tot, sind die Menschen vielleicht längst fort, fort aus dieser Leere, fort in die Stadt, in die ferne, hier nicht gezeigte Stadt gezogen?
Man kennt diese Melancholie aus seinen Filmen. Wim Wenders, der hier die Kamera auf dieses Land, auf diese Stimmung, in diese unbelebte und unbeseelte Ödnis gehalten hat, ist ein melancholisch Suchender, einer, der mit der Kamera wie mit dem Fotoapparat das bannen kann, was dieses ferne Land, dieses Amerika, in seinen tiefsten Weiten auszeichnet: eben die Melancholie, die an Trostlosigkeit kaum zu überbietende Trauer, das Alleinsein der Kreatur, gäbe es sie denn. Von dieser Kreatur, nämlich von diesen Menschen, sind hier nur Spuren zu finden: Schilder, Autos, Leitungsmasten. Die klassische Fotografie, die, die uns einfällt und uns begegnet, wenn wir uns mit diesem Medium als Kunst beschäftigen, ist vor allem geprägt durch die schwarzweiße Variante, durch Grauwerte und Bildtiefen, die durch lange Belichtungszeiten erzielt werden. Oder aber sie ist geprägt eben durch die Wahl des Ausschnittes, durch den erzielten Überraschungseffekt, der mittels Kontrasten hergestellt wird. Die Farbfotografie hat es da gleichsam schwerer. Und das schon deshalb, weil sie uns täglich in geballter und schnell ermüdender Form begegnet: in Zeitschriften, auf Plakatwänden, in Form von Werbung. Sich hier, in diesem Metier der Farbfotografie, mit dem Anspruch zu behaupten, der über den familiären Dia-Abend hinausgeht, das ist schwer, meist scheint es unmöglich. Wim Wenders aber gelingt das allemal.
Mit seinen Fotografien, die in hohem Maße zugleich Farb- und Lichtstudien sind, schafft es der international preisgekrönte Regisseur zu zeigen, daß er ebenso wie sein langjähriger Kameramann Robby Müller seinen Blick für dieses substantielle Leere geschult hat und ihn einzusetzen vermag. Es ist ein unbedingt neugieriger Blick, mit dem Wenders in den Gehalt und die Stimmung des Landes mit seiner Trostlosigkeit vordringt. Er konzentriert sich dabei auf das unbedingt Typische, auf das, was es in keinem anderen Land so zu sehen gibt. Und das ist im besten Falle die Aufgabe von Fotokunst – nämlich das Unverwechselbare und die Einmaligkeit einer Situation oder eines Augenblickes wiederzugeben. Wenders selbst kommentiert sein Verhältnis zu dieser Art von Sehen durch das Kameraauge so: „Es gibt in der Fotografie einen ideellen Zusammenhang mit dem ,Ende der Welt‘: daß man etwas sieht und festhält, als ob es nur noch eine allerletzte mögliche Gelegenheit dazu gäbe... Aber dann hat diese Idee auch eine Kehrseite, die darin besteht, daß dann ein Foto existiert, welches den Bestand der Welt gerade fortsetzt.“ Und Wenders hält diese Welt fest, bannt sie mit dem ihm eigenen Blick.
Die meisten Fotos sind in Texas oder Arizona gemacht – in diesen mittelamerikanischen Weiten, wo es keinen Ausweg zu geben scheint, als eben den, immer neue Horizonte zu sehen oder mit dem Auto auf sie zuzufahren. Aber zwischen dem gesehenen Horizont und dem fotografischen Auge, zwischen der leeren Welt und dem suchenden Subjekt – dazwischen eben stehen diese Relikte, die ihre eigene Schönheit erst offenbaren, wenn man sich ihnen nicht flüchtig, sondern mit dieser Konzentration nähert. Erst dann werden diese vorgefundenen Objekte in Form von Häusern, Wohnwagen, Tankstellen und Schriftzügen zu gestalterischen Merkmalen, die man auf dem fotografischen Bild oftmals nur noch als Chiffren eines längst erloschenen Lebens sieht, die aber eine andere Funktion jetzt, als Artefakt, viel besser erfüllen – nämlich die, Gestaltungsmittel, Farbreliefs, Kontrastmittel zu sein. Eine große Garage in Houston, Texas, wird, von der gegenüberliegenden Straßenecke aufgenommen, zu einem schwarz-weißen Zebra der Autogesellschaft, und ein verlassenes Kino wird, zwischen grauem Asphalt und blauem Himmel, zu einer sentimentalen Art-Deco- Brosche, die nicht zufällig den Namen des Kinos trägt – nämlich „Lyric“.
Lyrisch sind aber diese Fotografien – es sind Gedichte, von denen nicht alle, darin gleich einer Lyriksammlung, von der gleichen Leuchtkraft sind, dies aber auch nicht wollen. Sie zeigen das optische Spektrum eines Landes mit dem Blick dessen, der sucht, mit der Sehnsucht dessen, der eigentlich gar nicht weiß, warum er dieses Land liebt – der es aber immer wieder aufsucht – wie den Ort seine ersten Liebe.
Amerikahaus Berlin, Hardenbergstraße 22-24, bis 30.10, Mo., Mi., Fr. 11-17.30, Di. und Do. 11-20, Sa. 11-16 Uhr. Eintritt frei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen