: 2.200S-Bahner auf dem Abstellgleis
■ Ende 1993 gibt die BVG der Reichsbahn die S-Bahn zurück/ Doch die Bahn will die Mitarbeiter nicht übernehmen
Berlin. Der Stellenabbau bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) gerät ins Stocken. Die Deutsche Reichsbahn (DR) sperrt sich gegen die Vorstellung des Nahverkehrsunternehmens, mit der Übernahme der Westberliner S-Bahn auch die dazugehörenden Mitarbeiter zu übernehmen. 2.200 S-Bahner sind betroffen. In dieser Woche trafen sich BVG-Chef Konrad Lorenzen, der Präsident der Berliner Reichsbahn, Werner Remmert, und der Staatssekretär der Senatsverwaltung für Betriebe, Ingo Schmitt. „Die Verhandlungen gestalten sich ausgesprochen schwierig“, berichtete ein Mitarbeiter der Senatsverwaltung.
Bei den Verhandlungen hat die BVG juristisch offenbar eine starke Position. Der damals Westberliner Betrieb hatte im Januar 1984 die 20 Kilometer Weststrecken der S-Bahn zusammen mit Zügen, Betriebsanlagen und 627 Reichsbahnern übernommen, sagt Personaldirektor Harro Sachße, der mit am Verhandlungstisch sitzt. Inzwischen ist die Streckenlänge im Westteil der Stadt auf 70 Kilometer ausgebaut, das Personal auf 2.200 Stellen angewachsen, die Angestellten haben Tarifverträge westdeutschen Standards. Bis 1995 will der Eigenbetrieb auf Grund der schlechten eigenen und Berliner Haushaltslage sowie gestrichener Bonner Zuschüsse über 3.700 Stellen abbauen – ohne auch nur einen einzigen Mitarbeiter zu entlassen, wie Unternehmenssprecher Wolfgang Göbel immer wieder betont. Bei seiner Rechnung geht der Nahverkehrsbetrieb davon aus, daß die 2.200 S-Bahner Ende 1993 zur Reichsbahn wechseln werden.
Der BVG nützt aber kaum, daß sie vor Gericht die besseren Argumente hätte. Die Reichsbahn wird kaum verpflichtet werden können, S-Bahner, die von der BVG kommen, besser zu bezahlen als Reichsbahner. Zur Zeit erhalten DR-Mitarbeiter 70 Prozent des Lohns ihrer Kollegen bei der Deutschen Bundesbahn, berichtet Joachim Methling, Sprecher der DR-Hauptverwaltung. Doch die unterschiedliche Bezahlung in Berlin West und Ost ist nur ein Problem. Wie die BVG so muß auch die Reichsbahn Stellen streichen. Vorerst etwa 20.000 Arbeitsplätze im Jahr, so Methling. Alleine in den vergangenen neun Monaten dieses Jahres konnte die DR vor allem durch die Privatisierung von Betriebsteilen den Stellenplan um 17.300 auf 179.000 kürzen.
Wie die Zukunft der 2.200 West-S-Bahner aussieht, weiß offenbar niemand. Die BVG hat einen Personalüberleitungsvertrag ausgearbeitet. Doch zu seinem Inhalt will sich niemand äußern. Die BVG muß sich allerdings um möglichst attraktive Konditionen bemühen. Denn „wer BVGler bleiben will, bleibt es“, sagt Wilfried Mehner, Gesamtpersonalratsvorsitzender. Niemand könne gezwungen werden, das Unternehmen zu wechseln. So rät die Arbeitnehmervertretung ihren Kollegen, nur dann zur Reichsbahn zu gehen, wenn die Bedingungen „einwandfrei“ sind. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen