: Mut zu Deutschland
■ Die Rechte und die Rückkehr der Nation
Das Buch heißt „Rückruf in die Geschichte“, hätte aber einen anderen Titel verdient: Mit „Wie man in den Wald ruft, schallt es zurück“ wäre die Argumentation des Autors Karlheinz Weißmann jedenfalls präziser benannt. Denn wie dieser Ernst-Nolte-Jünger da zurückruft, bekommt er mit der Frage die gewünschte Antwort bereits geliefert – nicht als geschichtliche Analyse, sondern als Rekonstruktion einer Ideologie, an deren Auferstehung Weißmann fast schon nicht mehr geglaubt hatte. Deshalb widmet er seinen Essay auch all denen, die, trotz der Widrigkeiten der jüngsten Geschichte, „mit mir an der Hoffnung auf die Wiederherstellung unserer Nation festgehalten haben“.
Tatsächlich ist das Buch, das nach eigener Aussage des Verfassers unter dem geistigen Protektorat des Ullstein-Cheflektors Dr. Rainer Zitelmann entstand, ein Musterprodukt der intellektuellen Rechten. Mit mühsam unterdrücktem Triumphalismus stellt Weißmann fest: Die Zeit der „kulturellen Hegemonie“ der Linken sei vorüber, weil der politische und ökonomische Realitätsverlust dieser Sinnstifter, „hinnehmbar in Zeiten der Stabilität“, heute solche Fehleinschätzungen produziere, „daß die (eben nur relativ beeinflußbare) schweigende Mehrheit ihr erst ganz undramatisch die Duldung und dann die Unterstützung entzog“. Weiter: „Die bedenklichen Konsequenzen der neuen Armutswanderung und der wachsenden Kriminalität sind beispielsweise für die Bürger so deutlich spürbar, daß weder appellative Ausländerfreundlichkeit noch antifaschistisches Drohvokabular, weder die Verharmlosung noch die Einladung zu aufgeklärter Betrachtungsweise verfangen.“
Was daraus folgt, ist für den Rufer in die Geschichte klar: Durch die generelle Linksverschiebung innerhalb des politischen Spektrums der Bundesrepublik sei der Platz für eine wirklich konservative Partei frei geworden. „Daß gegenwärtig ein Konservatismus fehlt, der dem gesunden Menschenverstand und der Notwendigkeit des Common sense Gehör verschafft, steht außer Zweifel.“
Aber Karlheinz Weißmann ist ja kein kurzatmiger Parteipolitiker, sondern sucht den geschichtlich legitimierten Überbau des neuen nationalen Zeitalters. Die Strategie dieser Umwerter von rechts zielt darauf ab, zwei politische Bastionen zu schleifen, die ihrem Traum der wiedererwachten Nation im Wege stehen: die politischen Einsichten der Bundesrepublik und zweitens das vereinigte Europa. Die erste Antwort, die Weißmann auf seinen Rückruf erhält, ist scheinbar verblüffend. Nicht der Faschismus war der Unfall in der deutschen Geschichte, sondern die 40 Jahre nach 1945. Als Zeitzeugen führt er gleich zu Beginn zwei Männer an, die keinen Zweifel aufkommen lassen, wohin die Reise geht: Johannes Gross, ein Bruder im Geiste der Hoffnung auf die Wiederherstellung der Nation, beschreibt die Niederungen der Bundesrepublik: „Kein Mensch weiß, wozu es noch Deutschland, wozu es noch Deutsche gibt. Niedrigste Geburtenrate der Welt. Kein Gottvertrauen, kein Selbstvertrauen. Die tonangebende Generation könnte die letzte sein, wenn es nicht schon eine neue gäbe.“ Und Ernst von Salomon, eine der wenigen rechten Literaturbegabungen, der 1922 an der Ermordung Außenminister Rathenaus beteiligt war, darf darauf hinweisen, daß es doch auch nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg noch eine Unterscheidung zwischen dem „Führer“ und der „Nation“ gab, Nazis und Deutschland kein Synonym waren, wie andere Intellektuelle kurz nach 1945 irrtümlich annahmen.
Diese Republik des Selbstzweifels, dieses Produkt alliierter Umerziehung gelte es nun schnellstens zu überwinden. Das „wiedervereinigte Deutschland“ sei keineswegs eine vergrößerte Bundesrepublik, denn die Bundesrepublik sei ein Produkt des Kalten Krieges gewesen, mithin eine geschichtliche Anomalie, die nun wieder durch die Nation ersetzt werden müsse. Seite um Seite denunziert Weißmann die bundesdeutsche Aufarbeitung des Faschismus als schnöde Unterwerfungsgesten, mit denen man jetzt endlich aufhören könne, um zur Normalität zurückzukehren. Die ist die Wahrnehmung der berechtigten Interessen einer europäischen Großmacht in der geographischen Mitte des Kontinents. Man kann dem flott geschriebenen Traktat nicht vorhalten, seine Ziele zu verheimlichen.
Der Autor kommt am Schluß seines Marsches durch die Geschichte zur Analyse innerer und äußerer Wiederstände einer erfolgreichen Revitalisierung der Nation. Die Demontage der bundesrepublikanischen politischen Kultur ist nicht nur eine rückblickende Abrechnung mit der Linken. Sie hat vor allem einen Zweck: Die Opinion leader aus der Zeit der Anomalie sollen nicht mehr die Gelegenheit bekommen, den deutschen Torso nach Europa zu überführen, bevor noch die Helden der Nation wieder richtig wach geworden sind. Sag ja zu Deutschland, bevor es an Europa verkauft wird – ist das eigentliche Credo der intellektuellen Rechten. Zumindest an diesem Punkt ist die Rechte der Linken zur Zeit haushoch überlegen: Sie weiß, was sie will, und sie weiß, wem die Stunde schlägt. Die Entscheidungen über die Zukunft Europas fallen jetzt. Jedes Jahr, um das die europäische Integration weiter verzögert wird, ist ein kaum noch einzuholender Punktgewinn für die Nationalisten. Jürgen Gottschlich
Karlheinz Weißmann: „Rückruf in die Geschichte. Die deutsche Herausforderung“. Ullstein, 29,80 DM.
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