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Petersberger Papier-betr.: "Björn einsam unter Wölfen", "Das Asyl zerreißt die SPD", "Die SPD hat die Verfassungsfrage tabuisiert" (Interview mit Otto Schily), "Ein Weichensteller wird gesucht", taz vom 13.10.92

betr.: „Björn einsam unter Wölfen“, „Das Thema Asyl zerreißt die SPD“, „Die SPD hat die Verfassungsfrage tabuisiert“ (Interview mit Otto Schily), „Ein Weichensteller wird gesucht“,

taz vom 13.10.92

Eure Berichterstattung zu den Petersberger Beschlüssen der SPD ist mir als über die Maßen verständnisvoll gegenüber der SPD-Führung aufgefallen. Sie scheint mir unter anderem bemüht, die Schwierigkeiten der (anscheinend bemitleidenswerten) Parteiführung zu schildern, verzichtet jedoch darauf, eine analytische Perspektive gegenüber der strategischen Bedeutung dieser Debatte einzunehmen. [...]

Asyl ist jedoch nur ein Thema des Petersberger Papiers. Während man den Schwenk in diesem Punkt noch als gewöhnlichen Opportunismus verstehen könnte, der mit Dummheit gepaart ist (denn wie Vogel mahnt: es ändert am Problem überhaupt nichts), wird die wahre Zielrichtung erst an einem Punkt offenbar, an dem kaum innenpolitischer Druck besteht: der Frage des Bundeswehreinsatzes.

Das Papier ist für konkrete Gesetzesvorhaben völlig folgenlos, da eine Reform der UNO nicht in Sicht ist. Die Absurdität der Bundeswehrposition im Petersberger Papier zeigt sich aber gleichwohl bei kurzer Überlegung. Der Weltpolizist UNO ist jetzt schon, wie sich am Abstimmungsverhalten von China im Sicherheitsrat zeigt, nur ein Instrument der reichen Staaten. Ohne sie wären keine Aktionen möglich, und in den Abstimmungen kaufen sie sich die Mehrheit zusammen oder stellen sie durch ökonomischen Druck her. Daran änderten auch Reformen der UNO nichts. Es ist auch kaum anzunehmen, daß ohne weitreichende gesellschaftliche Veränderungen jemals die Kurden durch die UNO vor Mord geschützt würden; es sei denn, die Türkei würde sich dem Weltwährungsfonds widersetzen. Dann würden hier die einfachen Gemüter wieder mal flächendeckend über alle Medien um ihre Tränen gebeten, um schließlich nach mittelgroßem Krieg ein neues MÖrderregime einzusetzen.

Worum geht es also wirklich? Wenn trotz der tagespolitischen Irrelevanz erst kürzlich gefaßte Parteitagsbeschlüsse geändert werden sollen, so kann es sich nur um symbolische Politik handeln: Die Parteimitglieder sollen schrittweise daran gewöhnt werden, daß Militäreinsatz zur Wahrung auswärtiger Interessen legitim ist. Es geht also um eine neue, imperialistische Moral: Wir haben sog. „gewachsene Verantwortung“, was im Klartext heißt: Wir dürfen jetzt, wie andere große Staaten auch, wieder unsere Interessen mit Waffengewalt durchsetzen. Dies gilt erst recht für die EG.

Wir werden also wieder auf das Prinzip der Nation eingestimmt: Egal, ob die Deutschland oder EG heißt – man kennt keine Parteien mehr. Die SPD-Führung will dazu die soziale Komponente anbieten: Nicht reinen Imperialismus, sondern Sozialimperialismus nannte man das zu Zeiten, als Analyse noch gefragt war.

Wie unmittelbar einleuchten dürfte, ist aus vielerlei Gründen die Asyldebatte zur Einstimmung auf diese Politik geeignet. Sie scheint aus Sicht ihrer Betreiber aber nur als Einstieg in eine strategische Umorientierung der SPD-Politik. Das Gewicht der jetzigen Entscheidung ist vergleichbar mit der Frage der Kriegskredite von 1914.

Unter diesem Gesichtspunkt kann die Politik der Parteiführung nur als verbrecherisch bezeichnet werden. Es gibt daher nach Petersberg keinen Raum mehr für Kompromisse. Es kann nur noch darum gehen, so schnell wie möglich und um jeden Preis eine andere Parteiführung zu erzwingen. Denn wenn die Parteiführung am Ruder bleibt, wird sie, allein um ihr politisches Überleben zu sichern, die Große Koalition anstreben. Die Bundestagsfraktion – ebenso wie die Reichstagsfraktion schon immer ein Hort der innerparteilichen Rechten – wird sie dabei unterstützen. Sie werden gemeinsam mit den Konservativen den Burgfrieden ausrufen und die Gewerkschaften zu einer völlig korporatistischen Politik zwingen. Damit werden alle Kräfte in der BRD, die auf Veränderung (ob grün oder rot) setzen, mundtot gemacht. [...] Florian Straetmanns, SPD-Mitglied seit 1974, Hamburg

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