piwik no script img

Sprachforschung der EG in Birmingham

■ Der Begriff „Subsidiarität“ taucht nur einmal im Abschlußdokument auf

London (taz) - Wir bleiben eine Gemeinschaft der zwölf – ohne schnellere und ohne langsamere Teilnehmer, niemand wird zurückgelassen.“ Erleichtert sprach der britische Premierminister John Major am Ende des EG-Sondergipfels seine „Botschaft des Vertrauens“ in die Mikrofone. Mit konkreten Beschlüssen zur Überwindung der Krise der Gemeinschaft, wegen der die Versammlung in Birmingham überhaupt einberufen worden war, konnte der Gastgeber allerdings nicht aufwarten. Bei ihren zehnstündigen Beratungen am Freitag hatten die zwölf Staats- und Regierungschefs lediglich ihre Absicht bestätigt, an den Maastrichter Verträgen und dem Zeitplan zur Europäischen Union festzuhalten. Um dem wachsenden Mißtrauen der EuropäerInnen zu begegnen, sammelten sie Vorschläge, um mehr „Transparenz und Demokratie“ in der Gemeinschaft zu schaffen. Entscheiden wollen sie erst beim planmäßigen Gipfel Anfang Dezember in Edinburgh. Der aktuelle Modebegriff der EG, „Subsidiarität“, kommt in der 600 Worte langen Birminghamer Erklärung nur einmal vor. EG-Kommissionspräsident Delors war mit dem – witzig gemeinten – Vorschlag angereist, einen öffentlichen Wettbewerb zur Begriffsklärung zu veranstalten. Doch in Birmingham half die zu erwartende Interpretationshilfe wenig: Stundenlang befaßten sich die zwölf Männer hinter den verschlossenen Türen des Kongreßzentrums mit Sprachforschung. Niemand wisse so genau, was der Begriff bedeute, soll Major dabei nach einer belgischen Quelle gesagt haben. Major selbst spricht neuerdings gern und oft von „Subsidiarität“, wenn er die Rettung der Souveränität der Mitgliedsländer meint. Kohl, der das schwierige Wort ebenfalls in sein aktives Vokabular aufgenommen hat, warnte davor, die EG zu entmachten und das „Subsidiarität“ zu nennen. Frankreichs Präsident Mitterrand und mehrere kleine Mitgliedsländer befürchteten, daß „Subsidiarität“ dazu führen könnte, daß die großen Mitgliedsländer letztlich die Richtung der Gemeinschaft bestimmen. Einen langen Vortrag über „Subsidiarität“ konnte Kommissionspräsident Delors halten. In der vergangenen Woche hatte er der Kommission in Brüssel bereits ein 22seitiges Papier zu Inhalt und Verwendung des Begriffs vorgelegt, das diese jedoch abgelehnt hatte. In Birmingham wiederholte er seine Vorschläge für mehr Transparenz der EG-Politik. Im Abschlußdokument sind sie als „Ideen für den Gipfel in Edinburgh“ enthalten. Jedem nationalen Parlament soll ein „Verbindungskommissar“ (anderer Nationalität) zugeordnet werden, der für flüssigen Informationsaustausch zwischen Brüssel und den einzelnen Hauptstädten sorgt. Einmal alle sechs Monate soll eine öffentliche Ministerratssitzung stattfinden. Die nationalen Parlamente sollen stärker an der EG-Politik beteiligt werden. Und bis zum Gipfel in Edinburgh sollen Kriterien dafür entwickelt werden, welche Entscheidungen in Brüssel und welche in den nationalen Parlamenten gefällt werden.

Die Krise im Europäischen Währungssystem (EWS) kam zwar auf Drängen der südlichen Mitgliedsländer zur Sprache, wurde jedoch an die Finanzminister weiterverwiesen. Eine windelweiche „Entscheidung“ traf der Gipfel für die GATT-Verhandlungen. Dort solle es bis zum Jahresende zu einem Abschluß kommen, hieß es vage. An Mitterrands Weigerung, die französischen Agrarsubventionen zu reduzieren, mochte jedoch keiner der Gipfelteilnehmer rütteln. Die Diskussion hätte die selbstverordnete Harmonie in Birmingham getrübt.

Für die britische EG-Ratspräsidentschaft hatte sich Major drei Hauptziele gesteckt: Er wollte die Maastrichter Verträge ratifizieren, den Weg für eine Erweiterung der EG um neue Mitglieder öffnen und das GATT-Handelsabkommen unter Dach und Fach bringen. Zur Halbzeit seiner EG-Amtszeit zeichnet sich für Major kein einziger Erfolg ab. Die Aussicht der mittelenglischen Großstadt auf Eingang in die EG-Annalen ist damit ziemlich gering. Dorothea Hahn

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen