: „Auf dem Bahnhof nicht wissen, wohin“
■ Rund 200 polnischen Familien droht Abschiebung, weil ihre Anwälte Fehler machten/ Kein Rechtsanspruch auf Korrektur
Berlin. Rund zweihundert Familien droht nach Schätzung von Hans-Peter Meister vom „Polnischen Sozialrat e.V.“ die Abschiebung nach Polen, bloß weil deren Anwälte Mist bauten. Eine davon ist die siebenköpfige Familie Kracinski, die demnächst Berlin verlassen soll, in Polen aber vor dem Nichts steht. „Wenn wir dann dort auf dem Bahnhof stehen“, formuliert mit akzentfreiem Deutsch die sechzehnjährige Eweline, die älteste der fünf Töchter, „dann wissen wir nicht, wohin.“ Ihr Vater Dariusz war in den achtziger Jahren Aktivist der damals noch illegalen Gewerkschaft „Solidarność“. 1982 wurde er verhaftet und bis 1983 in ein Internierungslager gesteckt. Danach fand er keine Arbeit mehr und mußte eine neue Ausbildung zum Kunsttischler und Restaurator beginnen. Als Observationen und Schikanen nicht aufhörten, ging er im Mai 1988 nach Berlin und stellte einen Asylantrag, der später jedoch abgelehnt wurde. Seine Frau Halina folgte ihm mit den Kindern gut ein Jahr später und beantragte ebenfalls vergeblich Asyl. Der damalige rot-grüne Senat gewährte polnischen Staatsangehörigen jedoch ohne Probleme eine Aufenthaltserlaubnis, sofern sie vor dem 1.12.1989 eingereist und ihre Asylanträge abgelehnt worden waren. Das Landeseinwohneramt bot auch den Kracinskis insgesamt dreimal die Aufenthaltserlaubnis an. Doch die Rechtsanwältin, die die Familie vertrat, versäumte es, die nötigen Papiere zur Behörde zu schicken, obwohl ihre Mandanten sie mehrfach dazu aufforderten. Meister spricht neben ihr von weiteren Anwälten, die „aus Schlamperei oder aus Honorargründen“ Antragsfristen verpaßten.
Pech für deren Mandanten: Wenn Anwälte Fehler machen, begründet das keinen Rechtsanspruch auf Korrektur. Der Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses, den der „Polnische Sozialrat“ als Interessensvertretung der hier lebenden Polen kontaktiert hatte, lehnte es deswegen ab, der Familie eine Aufenthaltsmöglichkeit in Berlin zu gewähren. Die danach angerufene parlamentarische Härtefallkommission befaßte sich erst gar nicht mehr mit dem Fall, da der Petitionsausschuß ja schon entschieden habe. Mittlerweile ist die Familie am 26. Oktober 1992 zur Ausländerbehörde bestellt worden, wahrscheinlich, um dort die Aufforderung zur Ausreise zu erhalten.
„Es ist so absurd“, schimpft Hans-Peter Meister. „Auf der einen Seite werden Krankenschwestern aus Osteuropa angeworben. Auf der anderen schiebt man Krankenschwestern aus Osteuropa ab, die hier schon lange leben.“ Halina Kracinska hat immerhin 15 Jahre Erfahrung in diesem Beruf und würde gerne arbeiten, darf aber nicht. Ihrem Mann Dariusz ergeht es ähnlich. In Potsdam zum Beispiel sind polnische Kunsttischler, die wie er historische Denkmäler zu restaurieren verstehen, gesuchte Leute.
Am schlimmsten aber würde eine Ausreise die Kinder treffen, die inzwischen besser deutsch als polnisch sprechen. „Hier bin ich ziemlich gut in der Schule“, sagt die sechzehnjährige Eweline. „Aber in Polen würde ich bestimmt zurückgestuft und zwei Schuljahre verlieren, weil ich nicht mal mehr polnisch schreiben kann. Und ich will doch mal studieren und Architektin werden.“ Ute Scheub
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