■ Das Portrait: Heiner Geißler
Was muß auch der Christdemokrat so waghalsig hoch hinaus? Der politische Absturz Heiner Geißlers jedenfalls war lange programmiert, bevor er im Spätsommer 89 vom Sessel des Generalsekretärs geholt wurde. Jetzt stellt sich die Frage erneut, im buchstäblichen Sinne. In der Tat, ein symbolisch aufgeladener Unfall: Absturz beim Drachenfliegen. Noch der Zeitpunkt, wenige Tage vor dem Parteitag, auf dem die Union ihre Zeichen in Sachen Ausländerpolitik setzen wird, macht nachdenklich. Wer anders als Geißler hätte da einen Kontrapunkt setzen können? Wer soll jetzt den Delegierten einhämmern, daß sie in Zukunft „mit sieben, acht, vielleicht sogar zehn Millionen Ausländern zusammenleben“ werden, wer wird das deutsche Staatsbürgerrecht als „völkisch“ kritisieren? Daß einem in der Union als Promoter der multikulturellen Gesellschaft kein anderer mehr einfällt, hängt auch mit Geißlers Sturz zusammen. Sieben Jahre lang hat er als CDU-Manager nicht nur die Wende rückwärts verhindert; er hat die Union zugleich auf die programmatischen Höhen dessen getrieben, was eine christlich-konservative Partei gerade noch verkraften kann. Er hielt Distanz zu Kohl, immer bemüht, die Union nicht erneut zum geistlosen Garanten des Machterhaltes verkommen zu lassen. Das mußte schiefgehen, spätestens, als er am Ende den Kanzler und Parteichef selbst als massiges Hindernis ausmachte: für seine Idee einer modernisierten Union – und den Machterhalt gleichermaßen. Daß Geißler so lange als Parteimanager amtieren durfte, hing ohnehin mit einer Eigenschaft zusammen, die die Linke immer wieder auf die Palme und Willy Brandt zu seinem Goebbels-Vergleich brachte: Sachverhalte populistisch zuspitzen, hetzerische Schläge verteilen, bis weit unter die Gürtellinie. Was die CDU an ihm verloren hat, zeigt sich an der faden Desorientierung, mit der sie heute im Einheitsschlamassel herumstochert.
Foto Nr.8
Foto: Ute Voigt
Aber das ist ja – Glück im Unglück – nicht der Zeitpunkt für einen Nachruf. Weil er's nicht lassen kann, hat Heiner Geißler am Sonntag wieder einmal zum Höhenflug angesetzt, er ist ins Trudeln geraten, abgestürzt. Auch von diesem harten Aufprall wird er sich erholen. Die taz wünscht ihm gute Besserung. Matthias Geis
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