: Bald ein Europa-Kartellamt?
■ Interview mit Dieter Wolf, dem neuen Präsidenten des Bundeskartellamts in Berlin Deutsche-Bank-Einstieg bei der Versicherung Deutscher Herold gestern genehmigt
Berlin (taz) – Seine Präsidentschaft beim Bundeskartellamt begann mit Großfusionen. Die Allianz-Versicherung, eng verbandelt mit der Dresdner Bank, mußte ihre Beteiligungsstrukturen nachbessern; und die Deutsche Bank bekam gestern grünes Licht für die Übernahme des Deutschen Herold. Der 57jährige Dieter Wolf (FDP), seit 1. Juli Nachfolger von Wolfgang Kartte (CDU), sieht allerdings den Schwerpunkt seiner Arbeit an der Spitze des Kartellamts darin, das deutsche Wettbewerbsrecht in ein europäisches zu integrieren. Mit Wettbewerbsrecht und Fusionskontrolle war der Jurist bereits als Spitzenbeamter im Bundeswirtschaftsministerium befaßt, als er von 1974 bis 1982 das dafür zuständige Referat leitete.
taz: Herr Wolf, es gibt die EG- Fusionskontrolle, wir haben ab Januar den Binnenmarkt. Brauchen wir da langfristig eigentlich noch ein nationales Wettbewerbsrecht?
Dieter Wolf: Ich würde sagen, bei einem tatsächlich vollendeten Binnenmarkt nicht mehr unbedingt. Meine Vorstellung wäre schon, daß wir am Ende ein wirklich einheitliches Kartellrecht haben, in das, hoffentlich, die positiven Elemente der nationalen Kartellrechte einfließen werden.
Welche Bestandteile des deutschen Wettbewerbsrechts würden Sie denn für unverzichtbar halten innerhalb eines europäischen Wettbewerbsrechts?
Wir sind ja derzeit noch nicht dabei, das Kartellrecht EG-weit zu harmonisieren. Was ich jetzt schon als Forderung erhebe, ist: Wir brauchen ein unabhängiges Europäisches Kartellamt. Dies hat sich in den zwei Jahren Erfahrung mit der EG-Fusionskontrolle herausgestellt. Ich will damit die Entscheidungspraxis der Kommission gar nicht kritisieren. Nur sind die Entscheidungsstrukturen dort so, daß 17 Kommissare über einen Fusionsfall befinden. Jeder Kommissar ist für andere Sektoren zuständig, jeder Kommissar kommt aus einem anderen Land. Das darf eigentlich keine Rolle spielen, tut es de facto aber doch. Das Ergebnis ist, daß am Ende keiner mehr so genau weiß, welche Argumente für eine Entscheidung maßgeblich waren.
Und was wäre gewonnen, wenn es ein Europäisches Kartellamt gäbe?
Man braucht ein Höchstmaß an Transparenz. Ein Europäisches Kartellamt müßte ausschließlich nach wettbewerblichen Gründen entscheiden.
Wenn langfristig tatsächlich ein Europäisches Kartellamt gegründet wird, was wird dann aus dem Bundeskartellamt?
Die Frage ist, ob dies zwangsläufig zu einer einzigen großen Zentralbehörde führen muß. Im deutschen Verständnis sehen wir das nicht so. Nach dem Subsidiaritätsprinzip, das bereits in den Römischen Verträgen angelegt ist, würden die nationalen Parlamente und Behörden durchaus erhalten bleiben und all das übernehmen, was durch nationale Behörden entschieden werden kann. Und das ist eine ganze Menge sowohl bei der Fusionskontrolle als auch bezogen auf Kartelle und die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen. Das können durchaus auch große Fälle sein, wenn das Schwergewicht in einem der Mitgliedstaaten liegt. Wir Deutsche haben durch die letzte Kartellnovelle bereits die Möglichkeit eröffnet, europäisches Recht in den Bereichen der Kartellaufsicht und der Aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen direkt anzuwenden. Mit Sicherheit sind wir die Fortschrittlichsten in diesem Bereich. Andere Staaten, die Franzosen zum Beispiel, überlegen, ob sie es bei sich auch so einführen.
Nun ist es doch bereits so, daß die meisten Großfusionen in jüngster Zeit in Brüssel entschieden worden sind, und zwar so, daß sie letztlich genehmigt wurden.
Ich halte mich da mit einer Wertung noch zurück. Die Zahl der Fälle, die Brüssel entschieden hat, ist noch viel zu klein. Auch unser nationales Kontrollrecht führt ja nur in wenigen Fällen zur Untersagung einer Fusion. Die allermeisten Fälle, über 90 Prozent, werden auch bei uns nicht untersagt. Das ist gut so, schließlich gibt es einen Markt für Unternehmen. Und der Staat ist gut beraten, diesen Markt nicht zu schädigen. Worum es bei der Fusionskontrolle geht, ist ja nur, die Extreme auszuschalten, das Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung zu verhindern, und nicht, Fusionen generell zu untersagen.
Aber ist denn die marktbeherrschende Stellung nicht nur eine logische Folge von immer neuen Zusammenschlüssen, bis ein Unternehmen schließlich so groß ist, daß es die marktbeherrschende Stellung erreicht hat?
Das kann in einer Vielzahl von Fällen dazu führen, muß es aber keineswegs. Wenn Sie mal die letzten 20 Jahre überblicken, da hat's Phasen gegeben, wo die allgemeine Meinung in den Unternehmen war: Die Zukunft liegt in der Diversifikation. Das führte dazu, daß viele Unternehmen sich andere Unternehmen gekauft haben, um die Basis der Technologie zu erweitern. Mittlerweile stellt sich heraus, daß das mit der Diversifikation durchaus eine zweischneidige Sache ist. Viele Unternehmen haben damit Schiffbruch erlitten. Jetzt scheint das Pendel wieder mehr zurückzuschwingen, nach dem Motto: Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Dann gibt's ja unterhalb der Fusionen auch noch die strategischen Allianzen.
Das ist ein ganz anderes Thema. Also, für mich ist das erst mal ein griffiges Etikett. Das muß nicht kartellrechtlich relevant sein, kann es aber. Wenn es das ist, dann ist es für mich eine strategische Messalliance, und dann werden wir dagegen einschreiten.
Nun gibt es doch durchaus große Unternehmen, die einen großen Einfluß am Markt haben, und die sich dann intensiv miteinander befreunden. Beispielsweise kürzlich der Fall Allianz und Dresdner Bank, wo Sie dann ja auch unterhalb einer richtigen Beherrschung eingegriffen haben.
Der Fall Allianz/Dresdner war keine strategische Allianz, das war für uns ein klarer Fusionsfall, der geprüft worden ist. Und die Argumente des Kartellamts haben die beteiligen Unternehmen ja ganz offensichtlich zum Nachdenken gebracht. Sie haben sich überlegt, wie können wir denn unsere Beziehungen, aber auch die zur Münchner Rückversicherung, so gestalten, daß das Ganze akzeptabel wird, tolerabel wird. Und sie haben uns schließlich eine neue Struktur präsentiert, die wettbewerbsfreundlicher ist als das, was wir vorher präsentiert bekommen haben. Hinzu kam, daß sich auf dem Markt eine Gegenmacht aufbaute, das Deutsche-Bank-Vorhaben mit Gerling und dem Deutschen Herold.
Insgesamt ist auf dem Markt eine Tendenz zu beobachten, die die Grenzen zwischen Kredit- und Versicherungsgeschäft aufhebt. Auf diesem neuen Sektor bilden sich Gruppierungen, die eher mehr als weniger Wettbewerb erwarten lassen. Und eine Verbindung Allianz/Dresdner Bank, die zu ringen hat mit der Deutschen Bank/Gerling und vielen anderen Sparten des Versicherungswesens, die läßt durchaus Wettbewerb erwarten. Die Struktur ist auf jeden Fall besser als vorher. Interview: Donata Riedel
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