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■ NeulichWespenschwärmerei

Den ganzen Sommer über imponierte mir meine Bäckersfrau. Inmitten von Wespenschwärmen verkaufte sie lächelnd ihre Brötchen und Kuchen, verteidigte die niedlichen Tierchen heftigst gegen kritisch guckende Kunden und nahm selbst einen Stich in den Zeigefinger mit größter Gelassenheit hin: „Ich hätte sie ja auch beinah zerquetscht – aus Versehen natürlich.“ Kein mörderischer Klebefänger hing in dem Laden, kein giftiges Spray wurde versprüht und die Tür blieb einladend geöffnet. „Die wollen doch auch mal was Leckeres zum Naschen haben, die armen Stadtwespen.“ Nun gut.

Neulich aber, als die Wespen, der beginnenden Herbstkälte wegen, schon lange kein Thema mehr gewesen waren, fand ich meine Bäckersfrau in ungewohnt melancholischer Stimmung vor. Statt mir meinen Apfelberliner aus dem Schaufenster zu angeln, holte sie mich mit nachdenklichem Blick zu sich heran und sagte leise: „Sehen Sie mal.“ Ich sah eine einzelne Wespe, die gierig an einem Sirupsüppchen naschte. „Ist sie nicht süß“, flüsterte die Bäckerin. „Das ist seit Tagen die erste.“ Auch ich beugte mich über das Tierchen. Seine feinen Fühler zitterten ebenso wie das spitze Hinterteil, der Rüssel war tief in die süße Flüssigkeit eingetaucht. Da erhob die Bäckersfrau ihre Kuchenzange und senkte sie über der Wespe nieder. „Was machen Sie da?“, fragte ich, von einer plötzlich Besorgnis um das Schicksal der Näscherin erfaßt. „Streicheln, ich will sie ein bißchen streicheln.“ – „Mit der Kuchenzange...?“ Die Bäckersfrau hielt inne: „Sie haben recht, ich bin ja verrückt“, legte die Zange beiseite und strich sanft mit dem Finger über das gestreifte Fell der Wespe, hin und her. Die ließ sich das ruhig gefallen, schnuckelte weiter, auch noch, als die Bäckerin seufzend von ihr abließ und mir endlich den Apfelberliner reichte. Wespen, ihr Wespen, bald kommt der Winter. Den Bäckerladen aber findet ihr Am Dobben. Cornelia Kurth

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