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Ein wackerer Anarchrist

■ Wie ein Pastor zum Lohndrucker wurde, und sich von Göttin Natur nähren läßt

Wolfgang Schiesches Foto: Katja Heddinga

Es ist eine lustig-absurde Vorstellung, daß Bremens wackerer Anarchist Wolfgang Schiesches zehn Jahre Pfarrer in Huchting war. Mit Ehefrau, Kindern, Hochzeiten und Abendmahl.„Jesus war auch ein Anarchist“,

der

älter herr

hält er in seiner ostpreußischlangsamen Art dagegen, „sonst hätten sie ihn nicht ans Kreuz geschlagen.“

Schiesches wurde 1972 vom Dienst suspendiert, nachdem er den Vormittagsgottesdienst abgeschafft und abendliche Gesprächsrunden eingerichtet hatte. „Die Menschen wollen am Sonntag ausschlafen.“

Jetzt wohnt der angegraute Sechziger mit zwei jungen Freunden in einem hübsch verwahrlosten Reihenhaus und betreibt im Keller eine kleine Druckerei. Ohne Miete zu zahlen, die Vermieterin kümmert sich nicht drum. „Und wenn das hier mal nicht mehr geht, dann wird uns die göttliche Natur ein anderes Haus geben.“

Wolfgang Schiesches ist Prediger geblieben. Und das, obwohl ihm eine Freundin eine Bachblüten-Therapie ausgependelt hat, „damit ich meinen missionarischen Trieb verliere. Das wirkt“, behauptet er lächelnd, „ich lauf nicht mehr rum und belästige die Leute.“ Ja — er ist ein unaufdringlicher und sehr freundlicher Prediger, der bedächtig seine Zigarette raucht und gerne das Drei-Stufen-Entwicklungsmodell der „Fahrrad- euphorischen Epikureer“ erläutert, auf Nachfrage.

Die „fahrrad-euphorischen Epikureer“ sind Teil der „ersten evolutionistischen Partei der Welt“, die eine „wissenschaftlich begründete“ herrschaftsfreie Gesellschaft erwartet. Diese Kombination läßt Versierte immerhin ahnen, daß es sich dabei um einen naturphilosophisch- anarchistisch verklärten Marxismus handeln könnte. „Wir wollen die Natur nicht verbessern. Sie weiß alles, wir müssen es nur herauskriegen. Das ist eine sehr demütige Haltung.“

Vor den letzten Parlamentswahlen hatte die evolutionistische Partei über 500 Unterschriften zusammengetragen, aber leider stellte sich heraus, daß zu viele Befürworter keinen gemeldeten Wohnsitz nachweisen konnten — und so wurde es nichts mit der Wahlaufstellung. „Ist auch gut, wir sind sowieso gegen Herrschaftsstrukturen jeder Art...“ — Nur ein Scherz also? „Ach nein“, Schiesches zwinkert zweideutig mit den schweren Augenlidern, „die Schwierigkeit im Umgang mit uns ist nur, daß alle denken, wir meinen es nicht ernst. Wir meinen es aber ernst, nur müssen wir selbst immer lachen.“

In seinem „Klartext Verlags“- Programm finden sich eine Reihe von Büchern, die das Weltbild der „fahrrad-euphorischen Epikureer“ einzufangen suchen, u.a. Wolgang Schiesches eigene: „Anbruch der Freiheit“ und „Ein Lachen wird sein“. Gedruckt sind sie in Schiesches' Kellerdruckerei, die er sich 1975 einrichtete. „Ich arbeite auch als Lohndrucker, aber das Finanzamt steht Kopf, daß man von so wenig leben kann.“

Da aber die Natur eine Göttin ist, „mit großen Titten“, die Leben spenden — und da Wolfgang Schiesches von ganzem Herzen an sie glaubt, wird sie ihn, hoffentlich, weiterhin ernähren. Sie und die Lohndruckerei. Cornelia Kurth

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