: Fern von Hollywood, nah dem Kino
■ Werkschau des unabhängigen Kinos: die 40. Filmfestspiele in San Sebastián
„Das Wichtigste für mich nach 50 Jahren Kino ist die Kommunikation zwischen den Kulturen und Völkern, die das Kino ermöglicht“. So der amerikanische Regisseur Joseph Mankiewicz zur Eröffnung der 40. Filmfestspiele von San Sebastián. 140 Spiel- und Dokumentarfilme aus 30 Ländern waren zwischen dem 17. und 26. September zu sehen. Dank der Anti-Hollywood-Haltung der Organisatoren fielen die Gold- und Silber-Conchas nicht den gewohnten amerikanischen Superproduktionen zum Opfer. Dieses Jahr wurden die weniger bekannten Talente prämiert.
Der argentinische Film „Ein Platz in der Welt“ von Adolfo Aristarain erhielt für seinen Beitrag über die gegenwärtige soziale Situation in seinem Land die Goldene Concha. Mit knappem finanziellen Budget schildert Aristarain mit einzigartiger emotionaler Kraft das Drama der „Entwurzelten in ihrem eigenen Land“ — das Schicksal einer politisch verfolgten Gruppe, die mitten in der argentinischen Provinz ein neues Leben beginnen will, indem sie gegen den Widerstand der Landeigner und multinationalen Konzerne eine Kooperative gründet.
Auch aus Osteuropa kam eine Reihe herausragender Filme. Der Jugoslawe Goran Markovic erhielt für seinen Film „Tito und ich“ die Silberne Concha und den Regiepreis. Der Film erzählt die Geschichte eines Jungen, der Marschall Tito mehr bewundert als seine eigenen Eltern. Die von Dimitri Vajnov hervorragend interpretierte Fabel ist eine grausame Satire über den Stalinismus und dessen Abartigkeiten. Der knapp Zwölfjährige erhielt für seine Rolle den Spezialpreis der Jury.
Eine weitere finstere Chronik erzählt der Film „Falscher Ausgang“ von dem Polen Waldemar Krzystek über die Verstrickungen der polnischen Geheimpolizei während des Stalinismus. Die bekannte Schauspielerin Krystina Janda erhielt für ihre Rolle einer von der Geheimpolizei verfolgten und gefolterten Frau den Preis für die beste weibliche Hauptrolle.
Der Preis für die beste männliche Hauptrolle ging an den mexikanischen Schauspieler Roberto Sosa für seine aufrüttelnde Interpretation eines Grenzpostens, der auf seinen Streifgängen alle Stufen des sozialen Infernos durchlebt, die die von der Gesellschaft Ausgestoßenen an der Grenze zu den Vereinigten Staaten erleiden.
„Wir wollen, daß das Festival auch den jungen Filmschaffenden mit ihren Erstlingswerken Möglichkeiten bietet“, sagte der Direktor der Auswahlkommission Rudy Barnet. So wurde in diesem Jahr die Reihe „Opera Prima“ ins Leben gerufen, in der 20 Erstlingswerke teilnahmen. Der in Berlin lebende iranische Regisseur Yilmaz Arslan erhielt für seinen Film über das Leben Behinderter, „Der lange Gang“, den Spezialpreis von 214.800 Dollar, die er in sein nächstes Projekt investieren muß. Lobende Erwähnung an der Reihe „Opera Prima“ fanden der Film „Herzsprung“ von Helke Misselwitz für ihre Konfrontation der Probleme der postkommunistischen Gesellschaft mit der damaligen DDR und „Der Unschuld beschuldigt“ von Marcis Ziebinski. Obwohl er eine Geschichte aus der Vergangenheit erzählt, beschreibt er ein aktuelles Problem: die ökologische Gefahr für den Planeten.
Den Preis für den besten Dokumentarfilm verlieh die Jury John Barbour für seinen für den „Oscar“ nominierten Film „Der Mord an JFK — Die Tonbänder des Richters Jim Garrison“. Während vieler Jahre hat sich Barbour mit den Tonbandaufzeichnungen des unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Richters Garrison beschäftigt, die das Mordkomplott auf Kennedy neu beleuchten.
Lateinamerika war mit 14 Filmen vertreten, die, wie Francisco León aus Kuba, Organisator der Auswahl, sagte, „das Beste der letzten Jahre“ sind. Mehrere lateinamerikanische Regisseure berichteten über die Schwierigkeiten in ihrer Heimat. „In Ländern wie Brasilien und Kuba ist die Filmproduktion völlig verschwunden, in anderen hat sie sich auf ein Minimum reduziert“, informierte der Mexikaner Jorge Diaz. „In Mexiko werden gegenwärtig zwischen zwölf und 15 Filme im Jahr produziert. Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 80.“ Der argentinische Regisseur Luis Puenzo: „In ganz Lateinamerika, einschließlich der Karibik, wurden in den letzten zwölf Monaten weniger als 50 Spielfilme produziert. Im Vergleich dazu wurden in den siebziger und achtziger Jahren etwa 400 Spielfilme gedreht.“ Der uruguayische Essayist Eduardo Galeano führte dieses Dilemma auf die „harte Wissenschaftspolitik der lateinamerikanischen Regierungen zurück“. „Unsere Filme“, so fuhr er fort, „können mit den ausländischen Produktionen nicht konkurrieren und die Kosten auf dem Binnenmarkt nicht decken. Die Filmindustrie in traditionell mächtigen Ländern wie Mexiko, Brasilien und Argentinien ist praktisch tot.“
Sowohl Rudi Barnet, Generalbeauftragter des Festivals, als auch dessen Direktor Koldo Anasagasti stimmten darin überein, daß San Sebastián „ein Ereignis sein muß, das das unabhängige Kino unterstützt“. „Uns interessieren nicht die bekannten Namen, sondern die Qualität der Filme“, erklärten beide zum Schluß der 40. Filmfestspiele. Jorge Hönig
Übersetzung: Barbara Bollwahn
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