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Always ultra

Hettche versus Altenburg: Gegen eine Sprache ohne Zauber  ■ Von Thomas Hettche

Einmal in den Spiegel gejammert, von der Zeit belächelt und in der taz befragt: Wie in der Werbung, um die es hier geht, ist die kurze Geschichte der Öffentlichkeit eines Matthias Altenburg die Geschichte von Mißverständnissen. Als solche jedoch ist sie aufschlußreich, zeigt sie doch die uralte Stilisierung eines Autors als guter-böser Bube, der gegen alle zu Felde zieht, die „den Markt mit schlechten Büchern“, wie er sagt, „verstopfen.“ Always ultra. Schon merkt man, hier ist es einem um Marktanteile zu tun, und zwar um die eigenen, um die wichtigste Frage, die ein solcher Autor wie Matthias Altenburg sich zu stellen in der Lage ist: Wer denn sein Buch kaufen soll? Also erklärt er – die Binde vor Augen – alles andere zu „trantütigen Texten“ und sucht im weiteren wortreich nach einem Grund für sein öffentliches Dreinschlagen. Außer dem fahrlässigen Versuch der Auflagensteigerung gibt es jedoch keinen.

Doch entsteht bei Altenburgs hilflosem Bemühen en passant das Psychogramm eines Autorentypus, der in seiner libidinösen Fixierung auf den Literaturbetrieb und im triebhaften Begehren Bemühen, ihn seinerseits mit eigenen Büchern zu „verstopfen“, einen obskuren Realismus-Begriff im Munde führt. Maxim Biller, mit dem mich eigentlich wenig verbindet, beginnt mir nachgerade leid zu tun, dafür als Gründungsvater ständig herbeizitiert zu werden. Während Biller bewußt auf der Klaviatur der Vorurteile und Tabus des Betriebes phantasiert, flötet Altenburg lediglich die Sehnsuchtsmelodie des Ungeliebten und offenbart ungewollt, daß unter der Starkdeutsch-Pose seines „Ja, sakra!“ und „Ja, verdammt“ Weinerlichkeit wartet.

Doch der Reihe nach. Worum, bitte schön, geht es Altenburg? Darum, trumpft er im Spiegel auf, daß „die Sätze Tempo kriegen und die Geschichten drive“, daß Literatur „anzurühren“ und uns „sogar schöner zu machen“ hat, „wie ein guter Film“. Und dazu, instruiert er mich und all die anderen jungen „anämischen Tränensäcke“, sollen wir uns „an jene dirty places begeben“, an denen „Bisse und Küsse so schwer zu unterscheiden sind“. Fein. Wie Altenburg in Frankfurt am Main ansässig, kenne ich die Lokalitäten, an denen er sich seine Authentizitätsgänsehaut abholen mag. Aber ist das schon alles? Ja, leider. Realismus nennt er das. „Da haben wir das Wort“, fügt er stolz noch an.

Es hat keinen Sinn, darauf zu verweisen, daß über Realismus zu Lukacs' und Benns Zeiten schon einmal inhaltsreicher gesprochen wurde. Daß der Gegenwart eine Literatur möglicherweise herzlich gleichgültig ist, die versucht, „sich erneut auf ihre alte Weise unentbehrlich zu machen“ (was immer das heißen mag).

Daß Literatur, die die Bedeutung der visuellen Medien für unser Bild von Realität einfach ignoriert, diese höchstens affirmativ in den Blick bekommt.

Es geht diesem Lamento nicht um Argumente, geradezu unerträglich wäre ihm eine historische Perspektive. Denn schon bricht sich in Altenburgs Spiegel-Text die Enttäuschung Bahn, die keine Geschichte kennt und keine Entwicklung, sondern nur die Gegenwart der eigenen Verletzung, die einfach nur, gerade indem sie es vermeidet, „ich“ sagen will, immer wieder „ich“: „Wenn dann aber einer der unseren [...] endlich mal etwas anderes versucht [...], und wenn er dann leider daran scheitert, dann wird sein Versagen von der Kritik anstatt mit Bedauern mit Häme registriert.“

Da ist klar und deutlich das Muster: Der Autor Altenburg will belohnt sein für seine Mühe, für all die Texte, die er schon brav nach Hause gebracht hat zu „jener dicken Mama, die wir uns angewöhnt haben, ,das Leben‘ zu nennen“. Angewöhnt hat Altenburg sich das wohl, weil er sich den wirklichen Namen dieser „Mama“ nicht eingestehen will. Es ist der Literaturbetrieb selbst, um dessen Absolution er wie alle Söhne mit Trotz und Geplärr bettelt. Getrieben von der Angst vor jenem „Versagen“, auf das man mit „Häme“ reagiert, ist manifest an diesem Impotenz- Text im psychoanalytischen Sinn einzig die latente Quintessenz, die ihn durchzieht: Alles Fotzen außer Mutti.

Der Sehnsucht nach deren Vergebung entspricht die Theorie einer globalen Verschwörung des Literaturbetriebs, die alle paranoiden Weltentwürfe auszeichnet: „Sollte es sie wirklich geben, die Verschwörung der Idioten im Kulturbetrieb?“ Sinnlos, diese rhetorische Frage zu beantworten, Altenburg fühlt sich schon umstellt. „Lesen möchte ich nichts mehr“ von den bereits erwähnten „anämischen Tränensäcken“, bekennt er, die „Tränensäcke“ sollen ihm „gestohlen“ und „vom Halse bleiben“, er will sich nicht von meinen „Suaden“ seine „wertvolle Lebens- und Lesezeit stehlen lassen“. Sinnlos zu erwähnen, daß ich nie in der alleinigen Absicht schrieb, Matthias Altenburg zu quälen. Sinnlos, darauf hinzuweisen, daß gerade die Pluralität und Vielfalt der Weitentwürfe Literatur ausmacht.

Im Gespräch in der taz nun muß Altenburg das Spiel weiterspielen, um dessentwillen ihm Aufmerksamkeit zuteil wird: Always ultra. Doch schon beginnt er, wie es in der Natur von Erklärungsmustern liegt, deren Begriffe ständig zirkulär nur den Sprecher bestätigen müssen, sich selbst zu zitieren, nur noch etwas lauter. Und noch ausgedünnter ist, was er sagen zu müssen glaubt. Die Realität ist mit Woody Allen nur einfach der „Ort, wo man ein anständiges Steak bekommt“. Und Literatur zeichnet sich dadurch aus, durchdrungen zu sein „von jener Melodie, die das Leben uns spielt“.

Altenburg spricht davon, sich „Platz zu schaffen“ im Literaturbetrieb, spricht von Stallgeruch und „Rattenkampf“, vom „Preis für Literatur“, der manchmal „tödlich“ sei, und sagt es jedem, „der es nicht hören will: I'm prepared.“ Irgendwie hat er das mit dem terminator, der aus der Zukunft kommt, um die Vergangenheit zu ändern, wohl gründlich mißverstanden. Altenburg, ansonsten ganz Arnold, kommt aus der Vergangenheit von konkret, um seine und nichts als seine eigene Zukunft zu retten: „Ich werde es Euch zeigen.“ Das einzige Entlastungsargument für dieses martialische Schwelgen in einer Art von blutigem Literatur- Darwinismus ist die Behauptung, „daß es eine Wirklichkeit außerhalb der Sprache“ gebe, in deren Besitz Altenburg – natürlich – ist.

Autoren erkennt man an ihrer Sprache, denn sie sind nichts als der Mund ihrer Wörter. Die Büchner-Preis-Rede George Taboris in der Zeit von letzter Woche sei als Anschauungslektüre für eine Sprache empfohlen, der wirklich das in den Blick geraten läßt, wovon Altenburg lediglich schwätzt: Wirklichkeit. Tabori spricht über das „peinliche, erschöpfte, verhunzte Wort“ Liebe, und mit der Beschwörung des Wortes schafft er Welt. Auf der Folie dieser Rede wird die Sterilität von Altenburgs Sprache besonders deutlich, ihre Armut, das Fehlen jenes Zaubers, der Literatur ausmacht, und – vielleicht gerade dadurch – ihre Skrupellosigkeit.

Matthias Altenburgs Irrfahrt durch die Feuilletons ist beispielhaft, weil er unfreiwillig das Begehren, das hinter dem aktuellen Schlagwort „Realismus“ sich verbirgt, ausspricht. Das Pathos in Altenburgs „Realismus“ ist so leer, die Texte, die er gebiert, sind so langweilig, weil er nur Hülse einer Schwäche ist: keine Sprache zu haben, keine Liebe und daher nur ein Ziel. George Tabori nennt es „des Hofnarren Lechzen nach Versöhnung mit der Macht“.

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