: Ich werde es Euch zeigen!
Der Schriftsteller Matthias Altenburg über Melodien, die das Leben spielt ■ Interview: Peter Henning
Endlich wieder ein neuer deutscher Literaturstreit? Eine neue Realismusdebatte womöglich? Im „Spiegel“ Nr.42 veröffentlichte der Jungautor Matthias Altenburg (33) eine Philippika gegen andere, bereits etablierte Jungautoren. Gegen deren „Suaden“, „Bübchen-Bücher“ und „Püppchen-Prosa“ setzte er mit einem kräftigen „ja sakra“ sein Verlangen nach “dirty places“, nach „Arbeit, Spannung, Tempo, Leben“ – Altenburgs „Realismus“-Verständnis, vorgetragen im Gestus des „Menschenfresser“-Darstellers. Die „Zeit“ antwortete dem mit zarter Ironie.
Daß weder eine Debatte über den Realismus im Zeitalter der technischen Diversifizierbarkeit von Realitäten, noch ein Literatur-Streit aus alldem folgen wird, lassen das folgende Interview mit Altenburg und die Antwort von Thomas Hettche (auf der folgenden Seite) ahnen. Was aber gerade nicht heißt, daß es über den Zustand der neuen deutschen Literatur nichts zu debattieren gäbe.
taz: Soeben ist Ihr erster Roman „Die Liebe der Menschenfresser“ erschienen, ein Buch, das bei den Kritikern extrem gegensätzliche Reaktionen auslöste.
Matthias Altenburg: In der Tat reagieren die Biedermänner des Feuilletons nervös. Offensichtlich spüren sie, daß da einer aus einem anderen Stall kommt, einer, den man lieber vor der Tür lassen würde, weil er anders riecht und weil er glaubt, daß es eine Wirklichkeit außerhalb der Sprache gibt. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mir Platz zu schaffen. Ich verstehe gut, was Rainald Goetz damals in Klagenfurt getan hat, um sich ein Entree im Literaturbetrieb zu verschaffen, denn wenn er sich nicht die Stirn aufgeschlitzt hätte, wäre bis heute womöglich niemand auf ihn aufmerksam geworden. Da ich nicht zur Selbstverstümmelung neige, muß ich auf andere Weise dafür sorgen, daß man mir zuhört. Was meinen Sie wohl, warum ich in meinem Spiegel- Pamphlet über den elenden Zustand der jungen deutschen Literatur das Maul so weit aufgerissen habe?
Natürlich um zu provozieren, und – wie sich in der hämischen Antwort der „Zeit“ zeigt – scheint Ihnen dies auch gelungen zu sein.
Dieser Streit gehört zu dem lustigen Rattenkampf, den man als Autor im Medienzeitalter ganz einfach führen muß. Wer nackt über die Straße läuft, muß damit rechnen, daß man mit dem Finger auf ihn zeigt. Wer Angst vor Verrissen hat, der darf nicht schreiben. Und daß die Zeit mich in ihrer kleinen Häme mit dem jungen Günter Grass vergleicht, also bitte, das kann mich doch nur ehren. Pikant ist bloß, daß mir Iris Radisch, die Literaturchefin der Zeit, schriftlich bestätigt hat, daß sie meine Nestbeschmutzung amüsant fand. So haben wir also alle mal wieder was zu lachen.
Nun mal halblang. Die in Ihrem „Spiegel“-Artikel „Kampf den Flaneuren“ namentlich angegriffenen Autoren werden Ihre Breitseite doch zweifellos wenig lustig finden.
Das will ich auch hoffen. Denn was ich dort sage, habe ich bitterernst gemeint. Schließlich ist diese Kumpanei von greisenhaften Jungautoren daran schuld, daß man nicht über deutsche Literatur reden kann, ohne sich mindestens ein Gähnen zuzuziehen. Aber genau diese Langweiler sacken sämtliche Preise und Stipendien ein, und anstatt sich von dem Geld ein schönes Leben zu machen, verstopfen sie wieder den Markt mit schlechten Büchern. Was ich ihnen vorwerfe, ist, daß ihre Phantasie keinen Boden unter den Füßen hat, daß sie zum Nulltarif und ohne jeden Zugewinn die Literaturgeschichte plündern, aber sonst nichts zu sagen haben.
Das klingt ja alles sehr plausibel, aber wie soll sie denn aussehen, diese „Rückkehr des Realismus in die Literatur“, wenn sie nicht überhaupt nur als Werbegag für Ihr Buch fungieren soll?
Stop, stop, stop. Es geht mir keineswegs um einen normativen Literaturbegriff, der natürlich alles plattwalzen würde, was ein Autor an Schönheit, Genauigkeit und neuer Weltsicht zu bieten hat. Tatsächlich ist es völlig egal, welcher ästhetischen Schule ein Autor anhängt. Was zählt, ist, was einer zu Papier gebracht hat, ob sein Werk gelungen ist oder nicht. Ob es durch das Leben gedeckt oder bloß am Reißbrett der akademischen Moden entstanden ist. Viele Autoren, die sich für Realisten halten, verstellen doch nur wieder den Blick auf die Wirklichkeit, anstatt ihn auszuhalten, und, was noch schlimmer ist: Mit ihrer Fixierung auf den Status quo nehmen sie uns auch noch jeden Gedanken an das Mögliche. Woody Allen hat das Verhältnis der Künstler zur Realität am besten beschrieben, als er sagte: „Ich hasse die Wirklichkeit, aber sie ist der einzige Ort, wo man ein anständiges Steak bekommt.“
Was heißt das für Sie konkret?
Das heißt für mich, man kann nicht aus der Wirklichkeit fliehen, man kann nur in sie hinein fliehen. Auch wenn sie, wie Nicolas Born schrieb, ein „Wahnsystem“ ist.
Aber warum sollte man in ein Wahnsystem fliehen? Brinkmann wurde in London überfahren. Born ist viel zu früh gestorben. Und der Tod von Fauser kam auch nur scheinbar überraschend.
Ja, verdammt, Sie haben natürlich recht. Aber was wäre denn die Alternative? Von der Realität abzusehen, das kann ja nur heißen, sich mittels Metaphysik ein Polster anzulegen, sich in Watte zu packen. Mag sein, daß man dann siebzig oder hundert Jahre alt wird, aber der Preis für Literatur ist höher, und manchmal ist er sogar tödlich. Ich denke, daß man irgendwann nicht mehr die Wahl hat.
Aber was werfen Sie denn Autoren wie Klaus Modick, Marcel Bayer, Undine Gruenter oder Thomas Hettche eigentlich vor?
Gar nichts, außer daß sie die Leute vom Lesen wichtiger Bücher abhalten, daß sie mit ihrem Kunstgewerbe Plätze besetzt halten, die der Kunst dann fehlen. Ihre Bücher haben keinen Sound, sie sind bloß vom Wollen ihrer Autoren durchdrungen, aber nicht von jener Melodie, die das Leben uns spielt.
Damit behaupten Sie nicht zuletzt, daß das Feuilleton sich zum Handlanger dieser Autoren macht, indem es ihnen immer wieder reichlich Platz einräumt.
Genau darum geht es. Es soll doch keiner so tun, als ginge es nur um ästhetische Kategorien, als ginge es ständig um das junge, kreative Frischfleisch. Tatsächlich findet Literatur nur am Schreibtisch des Dichters und im Kopf des Lesers statt. Alles, was dazwischen liegt, also dieser ganze verdammte Betrieb samt seinen Verlagen, Agenten, Kritikern und Professoren, ist nichts anderes als eine gigantische Maschine. Und entweder lernt der Autor, diese Maschine zu bedienen, oder er gerät in ihr Räderwerk. Ich sage jedem, der es nicht hören will: I'm prepared! Ich werde es Euch zeigen!
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