: Kraftsport und Ausdruckstanz
■ Mariss Jansons dirigierte die Petersburger Philharmoniker in der Musikhalle
in der Musikhalle
Wer das Glück hatte, am Dienstagabend in der Musikhalle einen dieser rot gepolsterten netten Klappsessel sein eigen zu nennen, konnte zwei Stunden lang genießend lernen, was drei Komponisten und ein Dirigent mit einem Ausnahmeorchester alles anzustellen vermögen. Die Bühne quoll über von Pulten, Instrumenten und Musikern: zehn Bässe hinten links, davor die Celli, rechts die Blechbläser.
Die Leningrader Philharmoniker wissen offenbar, wie Prokofjev es haben wollte. Seine Fünfte Sinfonie jedenfalls ist so dick instrumentiert wie sie hier im ersten Satz klang, und im zweiten Satz ließen die russischen Streicher jenes Vibrato singen, für das sie mit Recht berühmt sind.
Im Finale schließlich machten die Newa-Städter klar, welch enormer Anspruch an Orchesterpräzision in Petersburg gilt. Mariss Jansons, dessen Dirigierstil Kraftsport elegant mit Ausdruckstanz verbindet, kam nach der Pause mit Natalia Gutman wieder.
In Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 1 war zu hören, wie ein Orchester kammermusikalisch musiziert und wie es sich sensibel auf eine Solistin einläßt, die – ungeachtet aller technischen Schwierigkeiten – sämtliche Schattierungen ihres Instrumentes klanglich zu realisieren weiß. Unheimlich fahl und überraschend modern: Ein Stück aus Bachs Cello-Sonaten als Zugabe.
Dann wurde es dreidimensional, das Auditorium in der Musikhalle durfte miterleben, wie gut und gerne hundert Instrumentalisten, inspiriert von der Genialität eines längst verstorbenen Franzosen namens Maurice Ravel, Klangräume aus Licht und Farben und Poesie herstellten, wie ein Klangkörper zum Schwellkörper ward, ohne eine Sekunde an Wagner oder Debussy zu erinnern und wie schließlich Daphnis und Chloä, die einstmals simple Ballettmusik, zu einer sensuellen Delikatesse globalen Ausmaßes mutierte.
Als Zugabe Boccerinis Menuett („Ladykillers“!), ein reines Streicherstück, mit viel Witz im Pianobereich musiziert. Karajan-Schüler ist er gewesen, der gebürtige Lette aus St. Petersburg. Aber vom Starkult des Classical-Jetset hält er offenbar nichts.
Mariss Jansons Meriten reichen weit über die schöne Oberfläche hinaus. Er will mehr, er hat es. Stefan Siegert
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