: Eine posthume Liebe
■ „Schamlos“ ein Film von Eddy Saller im Eiszeit
Eddy Saller drehte nur vier Filme, aber alle waren Schrott. Wer kann das schon von sich sagen? Bereits 1965 bei seinem Erstling „Geißel des Fleisches“ bannte er reichlich nacktes Fleisch unter dem Vorwand der Dokumentation aufs Zelluloid und nahm damit die unendlichen Folgen der Schulmädchen- und Hausfrauenreports vorweg. Sein zweiter war „Schamlos“, seine beiden letzten Filme gaben sich erst gar nicht mehr die Blöße der vorgetäuschten Ernsthaftigkeit, sondern spekulierten ganz offen auf die niederen Bedürfnisse des Publikums.
„Schamlos“ entstand 1968 und beginnt mit Text. Das Lesen bleibt die einzige intellektuelle Leistung, die der Zuschauer beisteuern muß. In der einleitenden Botschaft wird erklärt, daß „echte Gangster“ auftreten werden und die Ereignisse des Films auf „einer wahren Begebenheit“ beruhen. Das vergißt man schnell, denn die Handlung entpuppt sich als Produkt eines äußerst kranken Hirns. Der Zuhälter und Klein-Mafioso Alexander Pohlmann hält sich mit Schutzgelderpressung über Wasser. Die Nackttänzerin Annabella liebt ihn, doch erst nach ihrem – natürlich – gewaltsamen Tode entdeckt der kalte Pohlmann sein wummerndes Herzchen und entwickelt dortselbst einen solch beträchtlichen Leidensdruck, daß er auf Auftrag von Annabellas – natürlich – sizilianischem Vater den Mörder sucht. Dabei fließt – natürlich – viel Blut, werden Menschen auf das erschröcklichste gefoltert, Alkohol getrunken, Ehebruch begangen, Nacktfotos verkauft und auch sonst allerlei grauenerregende Dinge veranstaltet.
Der Laie kann unschwer erkennen, daß Saller mit diesem Plot genügend Stoff hatte, um mit erhobenem Zeigefinger die Verderbtheit der Unterwelt und die Schrecken des Verbrechens abzubilden, dabei aber doch alles zu zeigen, was den Voyeur im Zuschauer befriedigt. Ob Künstlerparty, Rotlichtbezirk, Gangstermilieu, Prostitution, Inzest: Saller läßt nichts aus, was Sex and Crime verspricht. 1968 war „Schamlos“ sicher ein veritabler Schocker, ein Vierteljahrhundert später taugt er nicht einmal mehr als Sittenbild, weil er schon damals nicht – wie in der Einleitung behauptet – um ein Abbild der Realität bemüht war.
Die Schauspieler haben nur Klischees darzustellen, und da sind sie auch gut, vor allem der durch Warhol-Filme halbwegs bekannt gewordene Udo Kier als Pohlmann, der mit der Gestik eines Toilettendeckels den hypercoolen Berufsverbrecher gibt, und Rolf Eden, der es inzwischen zum Berliner Großdiskothekenbesitzer gebracht hat, als Unterweltsboß Kowalski. „Schamlos“ verzichtet lieber auf eine schlüssige Handlung und die differenzierte Zeichnung der Charaktere als auf einen Zwischenschnitt, in dem ein Revolvermann unmotiviert an seiner Knarre nuckelt. Das ist alles gut und schön und von einem gewissen Unterhaltungswert. Vor allem belustigen die krampfhaften Bemühungen, dem Machwerk durch den Einbau der zwar posthumen, aber dramatischen und hochromantischen Liebesgeschichte eine moralische Qualität zu verleihen. Thomas Winkler
„Schamlos“, BRD/Österreich 1968, mit Udo Kier, Rolf Eden, Marina Paal, Wladimir Medar. Vom 20.-24.10. im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 6, Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen