„Ich sehe mich als Journalisten“

■ Interview mit dem „Freund der Zuschauer“, Olaf Kracht

Olaf Kracht, 29, ist Moderator und Redaktionsleiter beim Privatsender RTLplus. Seine Karriere begann beim konservativen „Münchner Merkur“. Seit 1989 moderiert er bei RTLplus den „Heißen Stuhl“, die Reality-TV-Reihe „Auf Leben und Tod“ und andere Sendungen.

taz: Wenn Sie von einem ARD- Magazin wie „Monitor“ oder „Panorama“ ein Angebot bekämen, würden Sie es annehmen?

Olaf Kracht: Nein. Deren Arbeitsweise würde mir nicht passen. Mir ist das zu hausbacken und zu sehr der öffentlich-rechtlichen Tradition verhaftet.

„Dompteur“, „Spielleiter“, „Aufreißer“ und „Jahrmarktschreier“ sind Etiketten, die Ihnen TV-Kritiker für Ihre Arbeit beim „Heißen Stuhl“ angeheftet haben. Wie sehen Sie sich selbst?

Ich sehe mich selbst als Freund der Zuschauer. Die Zuschauer wollen zu einem Thma verschiedene Ansichten hören, und zwar möglichst pointiert und nicht drumherum gelabert. Ich versuche, den Streit zu arrangieren – nicht zu inszenieren.

Dafür braucht man doch keine Journalisten...

Ein Privatsender ist keine Filmabspielstation. Wäre er das, wäre er zuwenig. Die Leute bei RTLplus haben das erkannt. Dem Journalismus wird hier im Hause viel Raum eingeräumt.

Die Hauptnachrichtensendung bei Ihnen wird von drei Moderatoren präsentiert, statt wie bei der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz von einem, der das auch ganz gut hinkriegt. Ist das mehr als reine Selbstdarstellung?

Das Prinzip ist, Leute vor die Kamera zu setzen, die eine Ahnung haben, wovon sie reden. Bei den „Tagesthemen“ und beim „heute journal“ gibt es ja auch zwei Leute. Bei der guten alten „Tagesschau“ sitzt ein Sprecher, der nur vorliest. Sachkompetenz für das, was er sagt, kann ich dem nicht abnehmen. Wir wollen Fachleute für den jeweiligen Bereich.

Stefan Aust, Ruprecht Eser, auch RTLplus-Chefredakteur Dieter Lesche sind von den Öffentlich-rechtlichen zu den Privaten gekommen. Die Privatsender haben bisher noch keine renommierten Politikjournalisten hervorgebracht.

Beim Privatfernsehen arbeiten auf jeden Fall gute Journalisten. Sie sind noch nicht so bekannt, weil es die Sender noch nicht sehr lange gibt. An journalistischen Erfolgen haben wir trotzdem einiges vorzuweisen. Ich denke da zum Beispiel an die angeblichen Opfer der „Securitate“ nach dem Umsturz in Rumänien. Wir haben nachgewiesen, daß die Leichen auf dem Armenfriedhof von Temesvar keine Geheimdienstopfer waren. Das ging durch ganz Europa.

Leute wie Georg Stefan Troller und Ralph Giordano haben mit ihren aufwendigen Dokumentationen jahrelang Fernsehmaßstäbe gesetzt. Gucken Sie sich von denen etwas ab?

Nicht in der Machart. Ich komme aus einer anderen Generation und bin mit einer anderen Art Fernsehen groß geworden. Leute wie Ralph Giordano achte ich allerdings sehr, weil sie viel offengelegt haben.

Was ARD und ZDF in ihren politischen Sendungen machen, halten Sie für überholt?

Vielleicht nicht in den Inhalten, aber in der Art, wie sie auf ihre Zuschauer eingehen. Die sitzen abgeschottet in ihrem weichen Nest, in der Art: „Wir sind die tollen Journalisten, und Ihr habt zu fressen, was wir Euch vorsetzen.“ Das ist eine unzeitgemäße Einstellung.

Die jüngste Errungenschaft von RTLplus ist die „Gong-Show“, bei der Menschen ohne Talent animiert werden, Showeinlagen zu bieten. Motto: Hauptsache im Fernsehen. Wann ist eigentlich der Tiefpunkt bei den Privatsendern erreicht?

Das ist eine Geschmacksfrage. Ich bin sicher, daß die Fans der „Gong-Show“ das nicht für einen Tiefpunkt halten, sondern für eine ganz lustige Art der Unterhaltung. Davon abgesehen: Mir gefällt die Show nicht, weil es mir keinen Spaß bringt, mich über die Unfähigkeit anderer zu amüsieren. Man muß es als Gesamtprogramm sehen und kann nicht sagen, es gibt die „Gong-Show“, und deshalb ist RTLplus ein niveauloser Sender. Privatfernsehen heißt, gewisse Inhalte zu verkaufen, ob sie nun journalistisch wichtig sind oder blöde wie in der „Gong-Show“. Solange es Leute gibt, die das kaufen, hat es seine Berechtigung.

Sendungen wie der „Heiße Stuhl“ oder Ulrich Meyers „Einspruch!“ auf Sat.1 werden mit einem aggressiv gestimmten Publikum inszeniert. Ist es nötig, daß, wie in einer Sendung über die Rostocker Krawalle, der Sender Rechtsradikale ins Studio einlädt und sie ihre Meinung frei verbreiten läßt?

Wenn man in einer offenen Form über solche Themen redet und die Gesellschaft wiederspiegeln will, muß man auch die einbeziehen, die es überhaupt erst zum Thema machen. Ich glaube nicht an den doofen Zuschauer, der danach plötzlich sein Kreuz bei den falschen Parteien macht. Wenn man Rechtsradikale einlädt, muß man dafür sorgen, daß ihre Sprüche von geeigneten Kontrahenten beantwortet werden.

Darf es den Privatsendern nur darum gehen, gnadenlos den Einschaltquoten hinterherzujagen?

Nur bis zu einer gewissen Grenze. Die Videoaufnahme eines Selbstmords, wie jüngst gesendet, geht eindeutig zu weit, obwohl es die Boulevardzeitungen am nächsten Tag groß bringen und damit wieder für höhere Einschaltquoten sorgen.

RTLplus-Sendungen wie „Augenzeugen-Video“, „Explosiv – Das Magazin“ oder „Auf Leben und Tod“ sind verfilmte Boulevardzeitungen, die mit dem Voyeurismus der Zuschauer spielen.

Statt Voyeurismus könnte man auch Neugier sagen, und Neugier ist etwas recht Positives. Diese Art Fernsehen orientiert sich daran, daß die Menschen zu gewissen Zeiten einfach nur etwas konsumieren wollen, ohne sich massenhaft Gedanken darüber zu machen. Das darf aber nicht in eine Monströsitätenshow absacken.

Welchen Informationswert hatte denn zum Beispiel der Beitrag in „Augenzeugen-Video“, der den Mord an einem amerikanischen Streifenpolizisten zeigte?

In einem solchen Fall ist der Informationswert für einen deutschen Zuschauer relativ beschränkt. Aber es ging uns nicht um den Mord; wir wollen mit dieser Reihe zeigen, daß die Revolution der Videotechnik und damit des Fernsehens unser ganzes Leben verändert. Nehmen Sie das Beispiel Rodney King: Wenn es nicht das Video gegeben hätte, das zeigt, wie er von Polizisten geprügelt wurde, wäre es im Sommer nicht zu den Krawallen in Los Angeles gekommen. Das Videoband ist ein Stück Zeitgeschichte.

In einer Sendung wie „Augenzeugen-Video“ vermischen Sie echte Aufzeichnungen mit Spielszenen. Damit schaffen Sie eine künstliche Wirklichkeit.

In dem Stück über den Polizistenmord waren Spielszenen dabei. In anderen Beiträgen sind wir von dieser Art der Darstellung weggegangen, weil es einen Beigeschmack von „gestellt“ hatte.

Grundsätzlich finden Sie es in Ordnung, Realität und Spielszenen zu mischen?

Ich halte das für eine hochinteressante Sache. Zugegeben, es kann sehr gefährlich sein, eine künstliche Wirklichkeit zu schaffen. Gerade deshalb ist es wichtig, daß sich Journalisten mit dieser Form beschäftigen und nicht allein die Kollegen von der Unterhaltung, bei denen die Gefahr besteht, daß sie nur die Sensationen ausschlachten.

Was sind Sie denn nun: Journalist oder Entertainer?

Ich sehe mich als Journalisten. Das Interview führte Olaf Preuß