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Dame. Autor. Autorin.

Barbara Hahns Essay über weibliches Schreiben  ■ Von Gabriele Mittag

Wer literarische oder andere Texte schreiben und veröffentlichen will, braucht einen Namen. Nicht irgendeinen Namen, sondern einen AutorInnennamen, eine eindeutige Bezeichnung, die ein Werk zusammenhält und abrufbar macht wie gespeicherte Daten. „Zur Kennzeichnung eines modernen Autors genügt ein einziges Wort. Wir sprechen von Goethe und Kafka, von Schiller und Benn. Wir sagen: die Günderode, aber nicht der Novalis. Bereits diese Sprachregelung zeigt, daß Autorschaft keine neutrale Instanz ist. Ihr ist ein Geschlecht eingeschrieben – ein Autor ist männlich.“ Das sind die programmatischen Sätze eines spannenden, dichtgedrängten Essays, der die einzelnen Diskussionsfäden Autorschaft, Geschlecht, Genre und Literaturtradierung an verschiedenen historischen Zeitpunkten neu vernetzt und analysiert.

Barbara Hahns Essay „Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frau“ enthält im Kern eine Geschichte des Schreibens, Lesens, der verschiedenen Schreibpositionen und Überlieferungsarten von autorisierten und nicht-autorisierten Texten und entwirft somit unausgesprochen ein Gegenmodell zur gängigen Literaturgeschichtsschreibung, für die „Autorschaft“ eine gegebene, unproblematische Größe ist. Genau das ist jedoch nicht der Fall, wie die Betrachtung jener ersten Generation schreibender, meist jüdischer und später konvertierter Frauen in Deutschland zeigt, die seit 1800 Eintritt in die literarische Öffentlichkeit begehrte. Weibliche Geschlechtszugehörigkeit ist im „Goethezeitalter“ ein Geburtsfehler, der Vorenthaltung von Rechten bedeutet, das Recht zum Beispiel an der kulturellen Mitsprache unter eigenem Namen. „Der eine Name, der Eigenname, erscheint als unerreichbare Instanz.“ Frauen sind nicht die einzigen, denen der Eigenname und der Status der Autorschaft verwehrt blieb, auch den Juden wurde vom preußischen Staat durch Verordnungen vorgeschrieben, welche Namen sie annehmen durften. „Jemand, der Mausche mi-Dessau heißt, kann zwar Briefe an seine Braut unterzeichnen, doch für einen Autor in deutscher Sprache taugt dieser Namen nicht. Erst Moses Mendelssohn wird zum anerkannten Schriftsteller, der ein Werk autorisiert.“ Seinen Autornamen leitete er aus seinem Geburtsnamen, Mendel Heymann, ab. Während bei männlichen, nicht-jüdischen Schriftstellern der Autorname im allgemeinen identisch ist mit ihrem Geburtsnamen, der Name des männlichen Autors eingeht in eine männliche Genealogie, stößt man bei der Bezeichnung von Texten dieser Generation von Schriftstellerinnen auf ein Labyrinth von entpersonifizierten, geschlechtsneutralen Kürzeln, Vornamen („Rahel“, „Caroline“, „Bettine“), Doppel-Namen, zusammengesetzt aus den Namen der Väter und Ehemänner, und Pseudonymen, die chiffriert werden müssen: Regine Frohberg für Rebekka Friedländer, Georg Munk für Paula Buber, Marie Luise Enckendorff für Gertrud Simmel, Gert für Gertrud Kantorowicz und so weiter – die Geschichte der „weiblichen“ Autornamen als verdeckte Geschichte eines Schreibens unter „fremden Namen“.

„Frau“ und „Autorschaft“ schlossen sich um 1800 aus wie „Frau“ und „Wissenschaft“. Über Frauen, die dennoch versuchten, „Autorinnen“ zu werden, schreibt beispielsweise Grabbe, geb. Grabbe, 1835 mit Bezug auf Bettina von Arnim, geb. Brentano: „Treibt die Verfasserin es weiter so, soll sie nicht als Dame, sondern als Autor behandelt werden.“

Während männliche Schriftsteller Werke signieren, fädeln sich schreibende Frauen als Leserinnen in die Geschichte des Schreibens ein und werden als „Leserinnen“ überliefert. „Zusammen mit dem modernen Autor entstand als sein Anderes eine ihn liebende und ihm antwortende Leserin. Das Genre für diese Stabilisierung von Autorschaft und Werk ist der Brief, der als ,weibliches‘ Genre bestimmt wurde.“ Diese Triade aus Brief, Leserin und Frau veranschaulicht Barbara Hahn am Beispiel des nicht autorisierten „Briefnetzes“ Rahel Levin Varnhagens und ihrer Brieffreundinnen. Anstatt eines Werkes, „das Rahel Levin Varnhagen ausschlägt, entwickelt sie eine Art des Schreibens und Überlieferns“, sprich: die „Sammlung Varnhagen, ein Archiv für das, was sonst übergangen und vergessen wird“. Jene jüdischen Schriftstellerinnen, die als Autorinnen auftreten und autorisierte Werke schaffen wollen, müssen ihren stigmatisierten Namen auslöschen – Auslöschung als Voraussetzung für den Eintritt in die christlich-deutsche Kultur.

Am Ende des 19.Jahrhunderts verändert sich diese Konstellation. Schreibende Frauen erhalten den Status von Autoren. Mit dem Zugang der Frauen zu den Hochschulen wird ihnen nicht nur das Recht zugesprochen, sich Wissen an den entsprechenden Institutionen anzueignen, sondern dieses auch in den verschiedenen Genres zu verarbeiten. Die Zuordnungen Geschlecht-Genre verändern sich, das Schreibverbot für wissenschaftliche und politische Texte wird durchbrochen. „Es entstehen Konstellationen des Schreibens, in denen Frauen ein neuer Platz zugewiesen ist [...]. Einer dieser neuen Plätze ist die Arbeitsehe.“

Am Beispiel der Intellektuellen-Paare Hedwig Lachmann (Autorinname)/Gustav Landauer, Paula (Autorinname: Paula Winkler oder Georg Munk) und Martin Buber, Fritz Mauthner und Hedwig Mauthner (Autorinname: Harriet Straub) analysiert Barbara Hahn eine Arbeitsteilung von Eheleuten, bei denen Männer literarische, politische und theoretische Texte mit ihrem Namen unterschreiben und Frauen für Lyrik zuständig sind und diese unter falschem Namen veröffentlichen. Voraussetzung dieser „glücklichen Arbeitsehen“ ist die „Arbeitsteilung“, die für die schreibenden Männer einen Raum eröffnet, der jedoch für die Frauen eine Reduktion bedeutet.

Den Abschluß des komplexen, an Textbeispielen und -interpretationen reichen Essays bilden Reflektionen über zwei Autorinnen des 20.Jahrhunderts, von denen eine behauptet, sie beziehe sich in ihrer Arbeit auf die andere: die wenig gelesene Schriftstellerin Ricarda Huch, die auch Theoretikerin, Historikerin und Essayistin war, und die vielgelesene Ina Seidel. Beide sind sie umstellt von Namen des Vaters, der Verwandten oder des Ehemannes, der Autorname „Huch“ oder „Seidel“ ist bereits besetzt. Während Ricarda Huch eine Anzahl von heterogenen Texten hervorbringt, die nicht mehr als Texte einer „Frau“ zu erkennen sind, legt sich die – dem Nationalsozialismus gegenüber freundlich eingestellte – Autorin des „Wunschkinds“, Ina Seidel, auf die Tradition eines „geheimnisvollen Matriarchats“ in der Nachfolge der Karoline-Bettine-Annette fest und damit auch auf einen Literaturbegriff, der die Pluralität der Texte von „Frauen“ mit Hilfe der ideologischen Einheit der „Mutter“ glattliest. „Genre und Geschlecht sind wieder identifizierbar, denn Ina Seidels geistiges Matriarchat ist eines der Briefe und später der Gedichte. Lyrik erscheint somit als Verlängerung des mit Weiblichkeit konnotierten Genres Brief ins 20.Jahrhundert. [...] Deshalb wird auch der Name einer schreibenden Frau wieder auf einen Vornamen reduziert... Geschichte verschwindet, nicht nur die der Literatur, und damit verschwinden auch alle Unterschiede zwischen Schreib- und Überlieferungsweisen.“

Barbara Hahn: „Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen“. Edition Suhrkamp, Gender Studies, 1991, 147 Seiten, 12DM.

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