: Mario Segni oder die Mühe des Positiven
Gegen Italiens altes Klientelsystem sind fast alle, aber... ■ Aus Rom Werner Raith
Fast wie aus dem Boden gezaubert stand sie plötzlich, im Frühjahr 1991, in der italienischen Politlandschaft, die „Referendumspartei“ oder auch „transversale Partei“. Ins Leben gerufen hatte sie der von seiner christdemokratischen Partei (DC) schlecht behandelte Sarde Mario Segni. Seit geraumer Zeit hatte sich Segni mit Italiens Klientelsystem, Grundlage für Mafia und andere Krebsschäden der Gesellschaft, angelegt und beschlossen, diesem mit einer Wahlrechtsreform zu Leibe zu rücken. Deren Kern ist die Reduzierung der bisher vier Stimmen pro Wähler auf eine einzige, womit die Bildung der klientelhaften Seilschaften verhindert werden soll.
Da Segnis eigene Partei nicht mitzog, rief er zu einem Referendum auf – und konnte sich bald vor Mitstreitern quer durch die ganze italienische Parteienlandschaft kaum noch retten. Ein Aufruf des sehr auf das alte System angewiesenen Sozialistenführers Bettino Craxi, statt zum Referendum ans Meer zu fahren und so der Volksbefragung das „Quorum“ von 50 Prozent Teilnahme zu entziehen, blieb wirkungslos. Mehr als zwei Drittel der Italiener gingen an jenem 9.Juni 1991 zur Urne, 95 Prozent stimmten für die Wahlrechtsänderung.
Seitdem ist Segni der „Mann der Stunde“, ein Sympathieträger ersten Ranges, gehandelt als künftiger Reformator der Christdemokratie oder gar dereinst einmal als Staatschef. Geschoben vom Erfolg des Referendums, gründete er vor den Parlamentswahlen im April dieses Jahres einen „Referendums-Pakt“, dem inzwischen über alle Fraktionsgrenzen hinweg – mit Ausnahme der Neofaschisten und der oberitalienischen „Ligen“– mehr als 150 Abgeordnete angehören, gut ein Siebtel der Parlamentarier insgesamt. Hauptziel: die Aushebelung der verbrauchten, zum großen Teil seit Kriegsende herrschenden Politikergarde, die den Staat als Selbstbedienungsladen versteht; die politische Modernisierung Italiens.
Doch dann kam ein Stopp: Ungeniert warfen die Christdemokraten Mario Segni aus der Verfassungskommission und schickten statt dessen ihren Parteipräsidenten De Mita hinein, der von Veränderungen nicht viel hält. Segni geriet außer Tritt und überlegte, offenbar um ein Notsignal abzusenden, einen spektakulären Austritt aus der DC und die Gründung einer eigenen Partei. Doch da kam ihm seine Democrazia Cristiana zuvor: Mit einer Hauruck-Umbesetzung ihrer Spitze akklamierte sie vorige Woche den einzigen noch präsentablen Mann in ihren Reihen, Mino Martinazzoli, zum neuen Parteichef. Die Begründung für Segnis Austritt, die vermeintliche „Nichtrenovierbarkeit der Partei“, war erst mal futsch.
So konzentrierten sich die Hoffnungen der „transversalen Partei“ auf eine megalomanische Nationalversammlung vorige Woche in Rom, mit der man die Truppen zählen und den alten Parteien angst machen wollte. Doch allein das Charisma des stets freundlich- melancholisch dreinblickenden Vertrauensträgers Segni bewahrte das Ereignis vor einer Totalpleite. Zwar waren aus allen anderen Parteien wichtige Leute gekommen: Republikaner-Chef La Malfa ebenso wie der Vorsitzende der Sozialdemokraten Vizzini, die einstige Galionsfigur der Radikalen Partei, Marco Pannella, genauso wie der ehemalige Antimafia-Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando. Doch andere Pakt- Freunde fehlten – etwa der Sozialist Claudio Martelli, der derzeit innere Opposition gegen seinen Parteichef Bettino Craxi macht und gerne nächster Ministerpräsident würde. Und als es an die Formulierung der nächsten Vorhaben ging, zeigte sich, daß jeder etwas anderes unter „transversal“ verstand. Während Segni ganz auf eigene Wahlvorschläge seines „Movimento popolare per la riforma“ setzt, möchte Republikaner-Chef La Malfa lediglich gemeinsame Listen aufstellen und so „in den zehn, fünfzehn wichtigsten Städten Italiens schon mal die Macht übernehmen“. PDS-Chef Occhetto hingegen will vor allem die derzeitigen Spargesetze der Vierparteienkoalition zu Fall bringen, was wiederum der alternde Volkstribun Pannella nun gar nicht möchte, weil er für sie gestimmt hatte – und so weiter und so fort.
Unter Feunden und ohne Mikrophone ist Mario Segni daher schon ab und zu mal verzagt. „Das Negative zum Teufel jagen, das wollen sie alle“, sagt er. „Aber positiv Gemeinsames finden, das ist offenbar heute noch nicht möglich.“
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