: Neonazis wollen Schlesier infiltrieren
Deutsche Rechtsradikale bauen Kontakte nach Oppeln, Königsberg, in die Ukraine und nach Litauen auf/ Deutsche Minderheit ist darüber nicht erfreut und erwartet Konflikte ■ Aus Oppeln Klaus Bachmann
Schultheiß Wieschollek ist nicht mehr zu halten. Jedes zweite Wort ist ein Fluch, dazwischen hämmert er auf seinen Schreibtisch. „Einen Stempel in den Paß und raus aus Polen“, verlangt er immer wieder. Die zwei Beamten des polnischen Staatsschutzes beschwichtigen: „So einfach geht das nicht mehr.“ Diejenigen, die Wieschollek gerne rauswerfen möchte, heißen Peter Götz, Thorsten Paproth und Gunter Beschütz und haben sich seit einem Jahr in Wiescholleks kleiner schlesischer Gemeinde Dziewkowice niedergelassen.
Alle drei entstammen der rechtsradikalen deutschen Splitterpartei „Nationale Alternative“ und sind dabei, zwei Häuser in der Gegend zur Propagandazentrale auszubauen. Dabei propagieren sie „die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in seinen historischen Grenzen“ und werben Mitglieder für die „Reichstreue deutsche Jugend“. Schließlich roch ein deutscher Satellitensender den Braten, drehte in Dziewkowice und schnitt den Film dann so, daß auch Wieschollek als Neonazi dastand. Seither ist der korpulente Bürgermeister ganz besonders dafür, daß die jungen Deutschen ihre Parole „Ausländer raus“ auf sich selber anwenden.
Die Nationale Alternative ist eine kleine, aber aktive Abspaltung der „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“, der bis 1989 auch der bundesweit bekannte Neonazi-Führer Michael Kühnen angehörte. Seit 1989 ist die FAP, der die Behörden über hundert Straftaten pro Jahr anlasten, auf dem absteigenden Ast. Ende letzten Jahres gründeten einige der FAP-Abtrünnigen in Konstanz die Nationale Alternative, kurz darauf erschienen ihre Abgesandten in Schlesien. Daß sie nicht früher entdeckt wurden, verdanken sie neben der Naivität der dortigen Bevölkerung vor allem der Tatsache, daß sie zunächst als Ableger eines Vereins auftraten: Der Konstanzer „Verein zur Förderung deutschsprachiger Medien in Osteuropa“ hat inzwischen Kontakte nach Königsberg, Litauen und in die Ukraine, wo die Rechtsradikalen ganz offiziell mit dem Ukrainischen Studentenverband in Kiew zusammenarbeiten. Daneben gibt er eine Monatszeitung namens Schlesien-Report, der die geneigten Leser schon in der ersten Nummer entnehmen konnten, daß „über die Ländergrenzen und Kontinente heute die Front eines Welt-Bürgerkrieges verläuft: die Nationalisten und ihre Verbündeten auf der einen Seite, der materialistisch-hedonistische Abschaum auf der anderen“.
Artikel zur polnischen Geschichte, „Polen, das Reich der Wikinger“, werden mit pseudowissenschaftlichem Anhang versehen, der allerdings ausschließlich aus Büchern besteht, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erschienen. Zur Finanzierung organisiert der Verein Busreisen gen Osten, da, wo angeblich „die Zukunft Deutschlands liegt“: Königsberg, Lwow, Kiew, ans Schwarze Meer und nach Litauen geht es. Inzwischen planen die Neonazis, die sich außer in Konstanz auch noch in Dresden rekrutieren, die Eröffnung eines deutschsprachigen Senders auf dem St. Annaberg. Signalen aus Warschau zufolge soll die Erteilung der Sendeerlaubnis vor der Tür stehen – da wußten die Behörden allerdings noch nicht, wer hinter dem Konstanzer Verein steht. Geld spielt offenbar keine Rolle: Mindestens 40.000 DM für die Sendeanlagen sind fällig, 30.000 für ein Haus in Dziewkowice gingen bereits über den Tisch.
In Schlesien, wo örtliches Brauchtum und deutschnationales Gedankengut fließend ineinander übergehen, ist niemandem aufgefallen, daß die Inhalte des Schlesien-Report mit deutsch-polnischer Verständigung kaum unter einen Hut zu bringen sind. Franciszek Kucharczyk, Vorsitzender des „Deutschen Freundschaftskreises“ in Dzwiekowice, findet das auch heute nicht besonders verwerflich. Mit den Neonazis will er allerdings nichts zu tun haben– obwohl einer davon Mitglied seines Freundschaftskreises ist. Bei der deutschen Minderheit fürchtet man nun, daß sich das Klima noch weiter verschlechtert. Daß sich westdeutsche Nazis in Oppeln ein Stelldichein mit Bierfest und schwarzer Reichsflagge geben, paßt polnischen Nationalisten nur zu gut ins Konzept. Beim Staatsschutz überlegt man schon, wie lange es dauern wird, bis die ersten polnischen Skinheads in Dziewkowice auftauchen. Drohbriefe hat Wieschollek schon bekommen: „Wir infizieren Dich mit der ekelhaften Krankheit Aids“, drohten Unbekannte anonym in Analphabeten-Polnisch.
Sollte der bisherige Vorsitzende des Minderheitenausschusses im Parlament, Jan Piatkowski, Woiwode in Oppeln werden – was nicht mehr ganz ausgeschlossen erscheint – befürchtet die Ethnologin und schlesische Senatorin Prof. Dorota Simonides, „kriegen wir hier jugoslawische Zustände“.
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