: Die Glückskabine
■ Schwierigkeiten mit Musik-Smog? Eine schalldichte Übungskabine hilft
Ja, damals, früher, da war Musik eine schöne Sache. Damals, da hieß Musik das alte Röhrenradio auf dem Wohnzimmerschrank, bedeutete den ewigen Kampf um die eine Stunde Radio Luxemburg in der Woche, hieß weggedrehte Elterngesichter, angewiderte Großmütter. Ja früher, das war schön, da liebte ich die Musik. Ich war jung damals, zugegeben, Texte habe ich keine verstanden, sie interessieren mich auch heute noch nicht, und was ich eigentlich so anziehend an der Musik fand, die Frage stellte sich mir nicht. Auch daß Musik etwas mit Sex zu tun hat, das war damals noch eine ferne Ahnung für mich.
Ich bekam, irgendwann, ein eigenes Radio, aus Transistor und schön klein. Später dann ein größeres mit einem richtigen Klang und einer Stereo-Taste. Ich war begeistert, interessierte mich, kaufte Platten, überspielte Tonbänder, spielte selbst ein Instrument.
Es kam, wie es kommen mußte: Überdruß stellte sich ein. Im Normalzustand konnte ich diese Harmonien nicht mehr ertragen, diese Dur-oder Moll-Akkorde, diese Rock-Quinten, Country-Sexten und Blues-Septen. Furchtbar, dachte ich, es ist nicht zum Aushalten. Immer das Gleiche. Ich reagierte allergisch, bekam Schreikrämpfe wenn irgendwo ein Radio lief, meine Haut verfärbte sich, wenn im Nachbarhaus jemand ein Liedchen sang. Gar noch zur Gitarre. Urrgh. Ich rannte, ich trommelte gegen Türen, ich wütete, versuchte alle diese Klangerreger aufzuspüren und auszuschalten. Für immer.
Eine Medizin hatte ich, die verschaffte mir Linderung: Ich konnte meine Gitarre nehmen, den Verstärker einschalten, alle Knöpfe nach rechts drehen, dorthin, wo es laut wird. Dann drehte ich an den Knöpfen am Gitarrenkopf, daß kein Ton mehr zum nächsten paßte, und schließlich hieb ich besinnungslos auf die Saiten ein, bis meine Finger bluteten und in den Ohren keine Empfindung mehr zu spüren war.
Das half eine Zeit lang. Doch die Wirkung ließ nach, schon eine Stunde nach meiner Therapie war sie wieder da, die Musik. Ich wälzte mich auf dem Boden, Schaum trat mir vor den Mund. Ich bohrte die Fingernägel in mein Gesicht, es gab kein Entrinnen.
Bis ich dann, eines Tages, in ein Musikgeschäft ging, um mir Saiten zu kaufen. Im Geschäft stand, mit einer einladend geöffneten Tür, eine Übungs-Kabine. Versonnen trat ich hinein, schloß die Tür, und all der Schall war weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Meine innere Anspannung fiel von mir ab, ich konnte plötzlich atmen, mußte nicht mehr meine Wut über diese Musik im Zaum halten.
Ich kaufte so eine Kabine, die größte, die ich kriegen konnte. Ich schlug in ihr mein Bett auf, und habe seitdem meine Wohnung nicht mehr verlassen. Ich bin glücklich. step
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