■ Kampagne indischer Frauen zur Rettung ihrer Männer: „Zündet den Branntwein an!“
Neu Delhi (taz) – Es begann mit einer Schulbuch-Geschichte. Die Frauen eines Dorfes im zentralindischen Staat Andhra Pradesh lasen sie, als sie in einem Erwachsenenkurs das Alphabet lernten: Siithamma verarmt unter der Alkoholsucht ihres Mannes, lehnt sich aber dagegen auf und erzwingt die Schließung des dörflichen „Liquor Shop“. Die Frauen von Dubagunta, noch unter dem Eindruck des Todes wegen Alkoholvergiftung von dreien ihrer Männer, beschließen, es Siithamma nachzumachen: Sie stürmen die Hütte, wo der lokale „Arrak“ hergestellt wurde. Der hochgradige Branntwein – ein Früchte- oder Reisverschnitt – wird ein zweites Mal in Brand gesetzt, und ebenso rasch verbreitet sich die Kunde von der befreienden Tat in der ganzen Region.
Bald bilden sich in über 600 Dörfern des Distrikts Frauengruppen, die mit Fackeln die Brennereien und Verkaufsstellen stürmen und anzünden. Doch entgegen der Hoffnung von Regierung und Herstellern bleibt es kein Strohfeuer. Bald ist der ganze Staat Andhra Pradesh davon erfaßt. Auktionen, in denen die Regierung Brennlizenzen versteigert, werden gesprengt, die Elite-Beamten des „Indian Administrative Service“ (IAS) werden als „Indian Arrak Sellers“ öffentlich verhöhnt und müssen die Auktionen ins Innere von Polizeistationen verlegen; schließlich müssen die Läden geschlossen werden. Swami Agnifesh, der Sozialapostel, eilt aus Delhi herbei und verspricht, den Kampf gegen den Alkohol von Zentralindien in den Norden zu tragen. Alkohol hat in Indien einen noch schlechteren Beigeschmack als im Westen. Dennoch ist sein Konsum weit verbreitet. Daß er gerade auf dem Land zu einer sozialen Plage geworden ist, wirft ein Licht auf die elenden Lebensbedingungen, die gerade Männer zur Flucht ins kurze Vergessen verführen. Seine zersetzende Wirkung ist um so größer, als die meisten sich den Schnaps nicht leisten können.
Die Frauen von Dubagunta beklagen sich, daß ein Plastik-Säckchen Arrak – Glas wäre viel zu teuer – sechs bis neun Rupien kostet. Es ist ein Drittel des Tageseinkommens einer doppelverdienenden Familie und garantiert noch keinen Rausch. Da viele nur knapp über dem Existenzminimum leben, ist der Ruin schnell da. Die Männer werden dann zum leichten Opfer skrupelloser Panscher, die mit chemischen Mitteln billigen Fusel herstellen. Er führt jedes Jahr zu Tausenden von Toten. Wie in den westlichen Ländern, nimmt der Staat auch in Indien gegenüber den Gesellschaftsdrogen eine heuchlerische Haltung ein:
Offiziell ist der Alkoholgenuß verpönt, aber gleichzeitig bilden Einkünfte aus seinem Verkauf bzw. aus jenem von Lizenzen einen der größten Budgetposten. In Andhra Pradesh sollen sie jährlich umgerechnet 500 Millionen Mark (!) betragen, drei Viertel davon allein aus dem Arrak. Die Zeitung Indian Express beziffert die Kosten für den Verbraucher auf über eine Milliarde Mark. Arrak-Lizenzen sind begehrt und das staatliche Monopol sorgt dafür, daß Politiker sich mit dem Handel Wahlkämpfe und privaten Luxus finanzieren können. Allein in der gesetzgebenden Versammlung von Andhra sollen etwa 100 Parlamentarier damit ganz legale Geschäfte betreiben. Sie verströmen nun, angesichts der Popularität der Anti- Arrak-Kampagne, Krokodilstränen. Dies tut auch die Regierung, die händeringend versichert, das „Anti-Armutsprogramm“ – eine kostenlose Tagesration von zwei Kilo Reis für die ärmsten Familien – ohne die Arrak-Gelder einstellen zu müssen. Bernard Imhasly
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