: Wonderboy mit dem Willen zur Macht
Wie wird man Präsident der Vereinigten Staaten? Gebrauchsanleitung für den politischen Erfolgsinstinkt, dargestellt an Vita und Fortuna des Gouverneurs Bill Clinton ■ Aus Arkansas Andrea Böhm
Es ist wahrlich kein Zuckerschlecken, in Arkansas das Dasein eines Republikaners zu fristen. Wenn Asa Hutchinson aus seinem noch nicht allzu langen Leben erzählt, dann wirkt er wie ein Missionar in der Diaspora, nicht wie ein Politiker. Da war zum Beispiel der Wahlkampf vor gut zehn Jahren, als er gegen einen Demokraten für einen Sitz im Senat kandidierte. Er hat Klinken geputzt, Hände geschüttelt, sich den Mund fusselig geredet und — natürlich — verloren. Seine Nachbarin spendete damals Trost: Sie hatte ihn gewählt und damit zum ersten Mal in ihrem Leben einem Republikaner ihre Stimme gegeben. Danach ging sie nach Hause und bat in ihrem Tagebuch den lieben Gott schriftlich um Vergebung.
Asa Hutchinson, ein 41jähriger Jurist, ist heute Vorsitzender der Republikanischen Partei in Arkansas. Die Zeiten, sagt er, „haben sich schon etwas geändert“. Aber nicht viel. Woran vor allem Bill Clinton schuld ist, der diesen Bundesstaat seit zehn Jahren regiert. Das ist nicht nur für Asa Hutchinson ein Problem, sondern auch für Präsident Bush. Seit der sich entschlossen hat, seinen Gegner als „gescheiterten Gouverneur eines kleinen Bundesstaates“ anzuprangern, bleibt immer wieder die Frage, warum um alles in der Welt die Bürger von Arkansas diesen Mann viermal zum Gouverneur gewählt haben.
Zugegeben — es sind nicht viele. Arkansas hat 2,4 Millionen Einwohner, und die teilen den Status der Ostfriesen in Deutschland. Aber da kneift auch Asa Hutchinson die Lippen zusammen, wenn man seine Mitbürger als hinterwäldlerische Dummköpfe hinstellt, die aus mangelnder Intelligenz einem Demokraten ihre Stimme hinterherwerfen. Bushs Attacken „sind nicht gerade hilfreich für uns“, sagt er in seinem breiten Arkansas-Akzent — immerhin eine Eigenschaft, die er mit Clinton teilt. Und bei aller inhaltlichen Kritik gesteht Hutchinson ohne Zögern ein, daß er persönlich Bewunderung hegt für den Mann, der am 3. November alle Chancen hat, zum Präsidenten der USA gewählt zu werden.
Jenseits von Sturm und Drang
In Arkansas und anderswo gibt es unterschiedliche Versionen darüber, ob Bill Clinton mit zwölf, vierzehn oder siebzehn Jahren wußte, daß er Präsident werden will. Man findet dieser Tage jedenfalls viele Zeitgenossen, die Bill noch aus Kindeszeiten kennen — und schon damals wußten, daß aus dem Jungen einmal etwas ganz Großes wird. Fest steht, daß er 23jährig als entschiedener Gegner des Vietnamkriegs im Jahre 1969 beschloß, den Kriegsdienst nicht zu verweigern, mit der Begründung, dies könnte seinen „politischen Werdegang“ zerstören. Der Einberufung entging der damals 23jährige letztlich doch — mit Hilfe von Tricks und Beziehungen. Er konnte sein Jurastudium an der Yale-Universität und nahtlos seine politische Blitzkarriere starten. 1974 kandidierte er, gerade 28 Jahre alt, erfolglos für einen Sitz im US-Kongreß; 1976 gewann er die Wahl zum Generalstaatsanwalt seines Bundesstaates. Zwei Jahre später wurde er erstmals zum Gouverneur gewählt — mit damals gerade 32 Jahren war er der jüngste im ganzen Land. Nach zwei Jahren „Sturm- und Drang“-Periode, wie Clintons erste Amtszeit heute bezeichnet wird, gaben ihm die Wähler wieder den Laufpaß. 1982 betrat der Mann erneut die politische Bühne — dieses Mal mit sehr viel moderaterem Auftreten. Dank eines gut organisierten Parteiapparates und eines durchaus charismatischen, engagierten und oftmals opportunistischen Amtsinhabers ist Arkansas seitdem Clinton- Country geblieben.
Dessen Herz schlägt zur Zeit in den ehemaligen Redaktionsräumen der Arkansas Gazette in der Innenstadt von Little Rock. Hier hat Bill Clinton sein Wahlkampfhauptquartier eingerichtet; hier verbreiten rund 400 Mitarbeiter konzentrierte Hektik, was bei 25.000 Telefongesprächen pro Tag kein Wunder ist. Die Stimmung ist angespannt. Alle haben sie seit Beginn der Vorwahlen Anfang des Jahres eine kräfteverschleißende Achterbahnfahrt hinter sich: Clintons oft mühsamer Kampf in den „Primaries“; Kellerstürze in den Meinungsumfragen, nachdem in der Presse über eine außereheliche Affäre und über sein Verhalten während des Vietnamkriegs berichtet wurde; das Wechselbad der Gefühle mit einem unberechenbaren dritten Kandidaten, Ross Perot. Doch jetzt, wenige Tage vor der Wahl, schwappt immer wieder ungläubige Vorfreude hoch.
Fast alle wichtigen Posten in der Wahlkampfzentrale sind mit FOBHs, den „Friends of Bill and Hillary“, besetzt — alte Freunde, ehemalige Kommilitonen, Mitstreiter und Mitarbeiter. Die Baby- Boomer mit linker Vergangenheit und akademischen Karrieren sind hier versammelt — ein intellektuelles Potential, das zuletzt John F. Kennedy 1960 um sich versammeln konnte. Sie alle eint der Glaube an ihren „Shooting Star“ und die Überzeugung, mit einem neuen Konzept staatlicher Intervention das Land aus der Krise holen zu können.
Sie müsse sich jeden Morgen bei dem Gedanken zwicken, sagt Betsey Wright, „daß jemand diese Wahlen gewinnt, der seit zwanzig Jahren einer meiner besten Freunde ist“. Wright gehört seit Jahren zu Clintons engsten Mitarbeiterinnen, unter anderem war sie Kampagnenmanagerin und Bürochefin des Gouverneurs. Wenn sie von ihrem Chef redet, dann legt sie ein solch bedrohliches Pathos in die Stimme, daß man sich kritische Fragen zweimal überlegt. In ihren Augen ist Bill Clinton ein Segen für dieses Land, ein Politiker mit „Liebe zu den Menschen“, enormem Sachverstand, „vielleicht kein Zauberer, aber ein Wunderkind“. Solch fanatische Schwärmerei wäre gar nicht nötig, denn eines hat bislang keiner dem Präsidentschaftskandidaten abgesprochen: enormes Sachwissen auf vielen Gebieten und ein originäres Interesse an der Lösung politischer Probleme — neben seinem Südstaatencharme ist das wohl der größte Unterschied zu George Bush.
Auf sein Renommee als Gouverneur von Arkansas läßt Betsey Wright denn auch nichts kommen. Unter seiner Amtszeit sind in diesem bitterarmen Staat 200.000 Arbeitsplätze geschaffen und 619 neue Betriebe eröffnet worden. Clinton hat neue Gesetze zur Wahlkampfreform in seinem Bundesstaat durchgesetzt. Vor allem aber reformierte er in Zusammenarbeit mit seiner Frau Hillary ein katastrophales Bildungssystem, das bis Anfang der achtziger Jahre in vielen Schulen weder Fremdsprachen noch höhere Mathematik oder Naturwissenschaften anbot. Heute gibt es in Arkansas 32 staatliche und private Colleges, 6 Berufsbildungsschulen, 5 technische Institute und 13 technische Hochschulen. Was gut ist für Arkansas, so lautet Clintons Message, kann für die Nation nicht schlecht sein: Arbeitsplätze und Bildung — das sind die Kernpunkte des Clintonschen Wahlprogramms für die Präsidentschaft.
Die fröhliche Wirtschaftswissenschaft
Ein paar Häuserblocks weiter fällt die Bewertung des Lokalhelden nüchterner aus. Hier sitzt Brownie Ledbetter, ein politisches Unikum, deren Büro als Stützpunkt für ihre Bürgerrechtsgruppe dient. Vom Umweltschutz über gerechte Besteuerung bis zur Armutsbekämpfung hat sie alles in Angriff genommen — und lag dabei mehr als einmal mit dem Gouverneur über Kreuz. Clintons Verdienst bei der Schaffung von Arbeitsplätzen streitet sie nicht ab, „aber er hat die typische Südstaaten-Strategie gefahren: niedrige Löhne, schwache Gewerkschaften und Steuererleichterungen für die Unternehmen“. Der durchschnittliche Stundenlohn in Arkansas liegt heute bei 8,07 Dollar, rund zwei Dollar unter dem landesweiten Durchschnitt, die Gewerkschaften führen ein ähnliches Schattendasein wie die Republikaner. Das Durchschnittseinkommen lag bei 14.000 Dollar im Jahr, rund 5.000 Dollar unter dem nationalen Durchschnitt, aber nur 2.000 Dollar über der Armutsgrenze.
„Besser Billiglohnjobs als gar keine“, sagen die einen und halten Clintonomics für einen pragmatischen Ansatz in einem Staat, der weder politische noch wirtschaftliche Alternativen hat. Ausverkauf an die Unternehmen, sagen die anderen — und führen einen weiteren Schwachpunkt der Amtszeit Clintons ins Feld: die Ökologie. Denn die drohende Abwanderung von Betrieben verhinderte der Gouverneur nicht nur mit großzügigen Steuergeschenken, sondern auch mit laxen Umweltschutzvorschriften für die Holz- und Papierindustrie sowie die Geflügelzüchter. Auf dem „Grünen Index“, der Umweltrisiken in den einzelnen Bundesstaaten bewertet, rangiert Arkansas auf Platz 48. Senator Al Gore, Ökologieexperte und Clintons Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, würde bei genauerer Begutachtung des Bundesstaates in Verlegenheit kommen.
Clintons Amtszeit in Arkansas war gewissermaßen ein Modellversuch für eine neue Mitte-Rechts- Politik der Demokraten. Das Experiment macht sich jetzt bezahlt. Allerdings hat ihm das enorme Bedürfnis, im „Mainstream“ zu schwimmen, auch den Vorwurf des Opportunismus eingebracht. Clintons Sucht nach Konsens ist in Little Rock jedem bekannt — ebenso seine Fähigkeit, eigene Standpunkte je nach Bedarf zu ändern. Seine Flexibilität hat ihm über Arkansas hinaus den Spitznamen Slick Willie (glatter Willie) eingetragen. Unter dem Namen hat inzwischen sogar ein Restaurant in Little Rock eröffnet.
Doch abgesehen von der kleinen Minderheit der Republikaner in Arkansas, will dieser Tage keiner den Verdacht aufkommen lassen, er halte Clinton für einen schlechten Präsidenten. Hier kennt man sich und den Gouverneur seit Jahren, hier trifft man sich morgens beim Zeitungsstand, mittags beim Lunch und abends auf irgendeiner Politveranstaltung. „Im Vergleich zu George Bush ist Bill erste Klasse“, sagt Brownie Ledbetter. „Schreiben Sie das.“
Außerdem verschafft die Kandidatur Clintons schon jetzt der Tourismusbranche in Arkansas ungemeinen Aufschub. In seinem Geburtsstädtchen mit dem vielsagenden Namen Hope, das bislang nur durch die Ernte überdimensionaler Wassermelonen bekannt geworden ist, hofft man ebenso auf einen Besucheransturm wie in Clintons Heimatstadt Hot Springs. Außer Heißwasserquellen gibt es dort ein Wachsfigurenkabinett, in dem neben Filmschauspielern, der englischen Königsfamilie und einigen Figuren aus Gruselfilmen auch Nixon, Carter, Reagan und Bush zu bestaunen sind. „Eine Clinton- Puppe“, so versichert die Kassiererin, sei in Arbeit. Und in Little Rock sind die Hotels für den 3. November bereits ausgebucht. 50.000 bis 75.000 Menschen werden für das Ereignis erwartet, das aller Voraussicht nach eine Siegesfeier sein wird.
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