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■ Der ehemalige Stasi-Offizier Joachim Wiegand bestätigte gestern im Potsdamer Untersuchungsausschuß Stolpes Version von der Verleihung der DDR-Verdienstmedaille. Dennoch bleiben einige Ungereimtheiten: Warum schob die Stasi der Kirche den Orden für Stolpe rüber? Und warum erfolgte die Verleihung unter konspirativen Umständen?Manfred Stolpe kann durchatmen

Joachim Wiegand liebt die erste Person. Der frühere Oberstleutnant der Staatssicherheit inszenierte gestern vor dem Untersuchungsausschuß in Potsdam das perfekte Bild eines tschekistischen Vorgesetzten. Im Streit um die genauen Modalitäten der Auszeichnung des Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe hielt der 1932 geborene Diplomjurist den anderslautenden eidesstattlichen Versicherungen seines früheren Untergebenen Klaus Roßberg wacker entgegen: „Ich erhielt die Urkunden und Medaillen für die anstehenden Auszeichnungen.“ Weiter: „Ich hatte zu prüfen, wer für welche Auszeichnung in Frage kam“ – nicht zuletzt insistierte der frühere Leiter der Stasi-Kirchenabteilung: Wenn es zu einer Medaillenverleihung an Stolpe gekommen wäre, „dann hätte ich sie ihm übergeben“. Nach Wiegands Worten war dem aber nicht so.

Die Aussage, die den Ministerpräsidenten entlastet, ist komplexer Natur. Die DDR-Verdienstmedaille, so Wiegand, kam tatsächlich von der Stasi – trotzdem hat aber auch der Ministerpräsident recht, der sich darauf festgelegt hat, sie vom 1979 verstorbenen Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Seigewasser, erhalten zu haben. Möglich war's, weil das „Kontingent“ an Auszeichnungen im Sekretariat für Kirchenfragen 1978 offensichtlich erschöpft war.

Die Idee, den damaligen Konsistorialpräsidenten für das Gelingen der Grundsatzvereinbarung zwischen Kirche und Staat auszeichnen zu wollen, kam Wiegand zufolge vom Staatssekretär Seigewasser. Doch der hatte, wie gesagt, sein Kontigent im entscheidenden Jahr für die Normalisierung der Staat-Kirchen-Beziehung aufgebraucht. Joachim Wiegand ist, wie er gestern sagte, deshalb dem Genossen Staatssekretär zur Seite gesprungen. Bei der Stasi sei ja im Vergleich zu anderen Dienststellen einiges möglich gewesen. Ergo habe er Seigewasser vorgeschlagen: „Wir haben eine, Hans, gib' du sie ihm doch“. Und da ist sie auch wieder, die erste, die handelnde Person: „Ich weiß, daß ich Herrn Seigewasser die Medaille überbracht habe“. Logischerweise konnte Wiegand anschließend keine Einzelheiten zu den Verleihungsumständen durch den Staatssekretär beitragen.

Ministerpräsident Manfred Stolpe, gestern noch vom Bürgerrechtler Rainer Eppelmann des Verrates beschuldigt, darf sich durch die Aussagen Wiegands entlastet fühlen. Indes, es bleibt eine Reihe von Unstimmigkeiten. Oberstleutnant Roßberg bekräftigte gestern erneut seine über das Fernsehen verbreitete Aussage, wonach er es persönlich war, der Stolpe die Medaille bei einer konspirativen Feierlichkeit in einer Stasi-Villa übergeben hat. Im Kern seien seine Angaben überprüfbar: Er selbst habe mit einer Tuschefeder den Namen des konspirativen Gesprächspartners Manfred Stolpe in die Blanko-Vorlage eingetragen. Ein Vorgang, der sich kriminaltechnisch überprüfen lassen müßte, da er den Federhalter noch besitze. Das aber bestritt Wiegand gar nicht: „Er hat sie ausgefüllt, definitiv“.

Wiegand hatte allerdings dem Ausschuß auch erklärt, daß Seigewasser von den Kontakten der Stasi zum Kirchenmann Stolpe nichts wissen durfte. Wieso hat dann die Stasi ein Formular für eine andere Behörde ausgefüllt? Warum konnte der Kirchenstaatssekretär das Blanko-Formular nicht selbst ausfüllen? Joachimn Wiegand mußte erst grundsätzliches zu Protokoll geben, ehe er sich dieser Frage widmen wollte.

Am Feitag, dem 16. Oktober sei er zu einem Treffen mit dem dubiosen „Nachrichtenhändler“ Perduss gebeten worden. Perduss ist jene schillernde Gestalt, die für eine Vielzahl von Geheimdiensten gearbeitet haben will, die mehrere Jahre in Haft verbrachte und die letztendlich Roßbergs belastende Aussagen bei Sat. 1 auf den Weg brachte. Wiegand will von Perduss massiv unter Druck gesetzt worden sein: „Er hat mir eröffnet, entweder springe ich am 23. (gestern also, d. Red) über die Klinge, oder ich begebe mich auf die Position von Roßberg.“ Er habe widerstanden – im Gegensatz zu Roßberg.

Der einstige Untergebene, dem er bis vor kurzem voll vertraut habe, sei ja mittlerweile „völlig fertig“. Einen Menschen „soweit zu kriegen, so was auszusagen, ist schlimm!“ Als Ursachen vermutet Wiegand: Geldnot, Schulden. Ein schlecht gehendes Geschäft, Probleme mit der Sozialhilfe. Dabei habe er ihm erst kürzlich eine Arbeit in einem privatisierten Teilbetrieb der Reichsbahn verschaffen wollen. Schließlich kenne er „Hinz und Kunz in den neuen Bundesländern“. Schlimm, schlimm. Der Ausschuß war beeindruckt. So sehr, daß er darüber vergaß, dem Widerspruch nachzugehen, wieso Wiegands Abteilung Formulare für das Staatssekretariat ausfüllte.

Oberstleutnant Roßberg, der sich vor dem Ausschuß tapfer an seiner eidesstattlichen Versicherung entlang hangelte und wiederholt erklärte: „Ich bleibe dabei, ich bleibe dabei“, agierte während seiner Zeugenvernehmung bläßlich. Nur einmal, als ihm die Aussage Wiegands vorgehalten wurde, wonach doch wohl dieser die Medaillie zu übergeben gehabt hätte und er, Roßberg, wie ein Schuljunge zwei Meter dahinter hätte stehen müssen, zuckte Roßberg aufgebracht: „So groß war das Zimmer gar nicht“. Seinen Vorgesetz ten hätte schon immer ein „ausgeprägtes Leiterdenken“ ausgezeichnet.

Einräumen mußte der Mitfünfziger allerdings, für Geld gesprochen zu haben. „Zuwendungen für Drehtage“ nannte er den ausgehandelten Betrag, der sich zwischen 20.000 und 25.000 Mark belaufen soll. Weil das Geld auch „immer mit der Maßgabe ins Spiel gebracht wird, mich zu diskredietieren“, sah sich Roßberg auch in seiner menschlichen Würde verletzt.

Aussage steht gegen Aussage. Wiegands Beteuerung, daß Roßberg in seinem Beisein an Manfred Stolpe keinesfalls einen Orden vergeben habe, stehen Roßbergs Angaben gegenüber, wonach Wiegand möglicherweise erst gegen Ende der Feierlichkeit dazu gestoßen sein könnte. Das läßt sich umgekehrt auch in Wiegands Angaben gut einbauen: Stilvolle Essen mit führenden Kirchenfunktionären hätte es regelmäßig gegeben. Die Kirchenoberen sollten schließlich für den Kontakt mit der Staatssicherheit vereinnahmt werden. Wolfgang Gast, Potsdam

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