: Unerklärliche Suizid-Manie
■ Müde Saisoneröffnung im Schauspielhaus mit Haus Herzenstod von G. B. Shaw
von G.B. Shaw
In dem Bauch einer großen Arche versammelt sich eine konzertierte Aktion der Menschlichkeit zur Lösung aller Probleme politischer, amouröser und metaphysischer Art. Abgehangene Adelige, verkorkste Industrielle, bodenständige Kleinbürger und sinnliche Kriegerinnen treten ein und wieder aus und reißen jeden Komplex der irdischen Seligkeit einmal kurz an. Nach knapp drei Stunden ist sich der gesellschaftlich gemischte Haufen soweit einig, daß man die herabfallenden (deutschen?) Bomben mit Begierde erwartet, um sich der morbiden Stimmung, die sich zum Grundakkord des Geschehens gestimmt hat, zu ergeben.
George Bernard Shaw verquickt in seinem Stück Haus Herzenstod den Salon-Sozialismus der Fabianisten mit modischen Ideen von Spiritualität und Fernöstlichkeit sowie einem scheinbaren Konflikt zwischen den Parteien „Reich-und- gefühlstot“, „Mondän-und-lebensmüde“ und „Arm-und-glücklich“. Doch der Ursprung dieses Konfliktes ist eigentlich nicht aufzufinden (vielleicht gibt es ihn gar nicht) und er führt letztlich auch nirgendswo anders hin, als in die unerklärliche, kollektive Suizid-Manie.
Vielleicht hätte man aus der etwas undurchsichtigen Vorlage ja eine zeitgemäße Parabel über die Verwischung klassenspezifischer Konflikte entwickeln können, doch Regisseur Arie Zinger, der sich zuvor mit Das Fieber und Die Vermummten aktuellen, politischen Themen verpflichtet gefühlt hatte, mochte es in diesem Fall lieber komisch und boulevard-tauglich.
Da bewegen sich die Personen im England des Jahres 1914 scheinbar im zeitlosen Raum, Krieg, Knechtung und Kolonialismus treten nur durch das Echo schmalspur- philosophischer Dialoge in den großen Hohlraum des Schiffshauses.
1Der alternde Kapitän (Bruno Dallansky) und seine beiden Töchter Hesione (Ilse Ritter) und Ariadne (Barbara Nüsse) verkümmern in der promenadenhaften Inszenierung endloser Auf- und Abtritte zu uninteressanten Stereotypen männlicher Weisheit und weiblicher Verschlagenheit. Matthias Fuchs als müßiger Pflastertreter in einem dif-
1fusen Eheverhältnis mit Hesione gewinnt immerhin noch Sympathiepunkte, doch lediglich Ulrike Grotes Wandel vom naiven über das praktische zum ehrlich liebenden Mädchen Ellie läßt sich mit einigem Interesse verfolgen.
Gelingt es Zinger bis zur Pause immerhin noch, dem Stück etwas Tempo und Schmunzelbarkeit zu
1verleihen, so bricht die Saisoneröffnung danach ab ins Ermüdende. Wie unbearbeitet walzt sich das Beziehungsgeflecht seinem Ende zu, die Dialoge werden zäh und lang wie im richtigen Leben und nach einem schrägen Abgesang mit Querflöte und Mundharmonika empfängt Zinger die verdienten Buh-Rufe mit eisigem Lächeln. Till Briegleb
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