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Wertvoll wie eh und je

■ betr.: "Nie war er so wertlos wie heute", taz vom 12.10.92

betr.: „Nie war er so wertlos wie heute“, taz vom 12.10.92

Vorurteile sind nie gute Voraussetzungen für treffende Analysen. Das zeigen erneut die überflüssigen Betrachtungen von Leggewie/ Meier über den Verfassungsschutz. „Legaler Dauerexzeß im Kampf gegen politisch Andersdenkende“ klingt hübsch, ist in Wirklichkeit aber schlichter Unfug. Es ist nicht die Gesinnung, welche die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes erregt, sondern es sind die Aktivitäten von Terroristen, Neonazis und sonstigen Extremisten, welche die Demokratie aus den Angeln heben wollen und dabei oft aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiern.

Den Schutz der Republik zur „radikalen bürgerlichen Tugend“ machen? Vielleicht können mir die Herren Leggewie/Meier verraten, wie der aufmerksame Bürger Lippenbekenntnisse von Scheindemokraten durchschauen oder konspiratives Verhalten von Extremisten aufdecken soll, um sich ein eigenes, zutreffendes Bild zu machen? Ich behaupte: Ohne den Verfassungsschutz kann die notwendige geistig-politische Auseinandersetzung mit den Randgruppen des politischen Spektrums nicht stattfinden.

Wer behauptet, solange der Meinungskampf friedlich verlaufe, sei ein Verfassungsschutz unnötig, vergißt die historischen Erfahrungen, die letztlich zur Schaffung des Verfassungsschutzes geführt haben: Hitlers erklärtes Ziel, zuerst legal an die Macht zu kommen und dann die Revolution zu betreiben, ist ihm bekanntlich gelungen. Die politische Polizei, der Leggewie/ Meier erstaunlicherweise so sehr das Wort reden, hat dies nicht verhindert.

Diese wäre auch heute nicht in der Lage, die Aufgaben des Verfassungsschutzes zu übernehmen: Natürlich ist es wichtig, Straftaten aufzuklären. Aber noch wichtiger scheint es mir, diese zu verhindern. Der Polizei sind im Staatsschutzbereich aus Rechtsstaatsgründen Grenzen gesetzt, und niemand kann es wollen, daß sie ihren Zuständigkeitsbereich ins Vorfeld strafbarer Handlungen ausdehnt.

Die Behauptung, im Westen habe der Verfassungsschutz „keine einzige Attacke verhindert“, ist Polemik und sonst nichts. Abgesehen davon, daß die Herren Politologen mit diesem Ausspruch erneut verdeutlichen, daß sie noch immer nicht die Schwerpunktaufgaben der Verfassungsschutzbehörden verstanden haben, ist es vielmehr richtig, daß in vielen Fällen geplante Gewalttaten verhindert werden konnten, weil der Verfassungsschutz die Polizei rechtzeitig informiert hatte; in anderen Fällen ermöglichten Verfassungsschutz-Erkenntnisse die Identifizierung und Bestrafung von Tätern.

Die derzeitige Welle von rechtsextremistisch motivierter Gewalt wirft auch wieder die Frage nach Verboten von Organisationen auf. Sie könnten ein wichtiges Signal nach innen und außen sein. Nichts gegen „gute Pressearchive“, aber die hierfür notwendigen Erkenntnisse kann nur der Verfassungsschutz zusammentragen. Dr.Werthebach, BfV-Präsident, Köln

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