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Heimweh nach der Zensur?

Arnolt Bronnens „Rheinische Rebellen“ – nach Frank Castorf in der Berliner Volksbühne  ■ Von Dietmar Hochmuth

Wenn ein Schauspieler von seinem Regisseur dazu inspiriert wird, eine Banane gleich einige Minuten lang so zu mampfen, bis der Saal in Ermangelung anderer Erlebnisangebote dankbar loslacht; wenn er schließlich im Halbdunkel den Darm entleert – dann hat man durchaus etwas Zeit für die Vorstellung, wie es wohl einem Stück ergehen mag, das da ziemlich lange unbemerkt in einem Bücherschrank steht, bis plötzlich die spitzen Finger von Frank Castorf nach ihm greifen... Wie es sich windet – angesichts der Perspektive, um den Preis der Unkenntlichkeit dem Vergessen entrissen zu werden. Und richtig: Diesmal war Arnolt Bronnen an der Reihe, und wir begegnen in seinem Text „Rheinische Rebellen“ Worten wie Grundorganisation, Gesängen aus der Buddelkastenfolklore („Wer schmeißt denn da mit Lehm? Der sollte sich was schäm'...“), schließlich gar dem promimentesten Untersuchungshäftling aus Moabit, der am Ende auf einer original DDR-Couch (im unverkennbaren FDGB-Ferienheim-Design) als Wachsfigur vom Schnürboden herabgelassen wird.

Spätestens hier wird dieses Theater geradezu über die Schmerzgrenze hinaus gering: Es „greift in ein schwebendes Verfahren ein“ und verarscht-bemuttelt einen immerhin Sterbenskranken. Man soll wohl über Tote nichts Schlechtes sagen, und über den (noch) lebenden Saarländer mit dem hellen Hut wurde bestimmt so ausgiebig genug der Stab gebrochen, daß er eigentlich kein Thema mehr ist. Für laues Kabarett (und mehr war's nicht) erst recht. Hier hätte der so auffällig dahinlinkende „Ost-Moderne Salon“ sich getrost einmal auf die Wahrung von banaler Menschenwürde besinnen können, wenn das Richtern und Staatsanwälten schon nicht gegeben ist und sie ihr Spiel mit der Lebensuhr brauchen...

Diesmal gab es keine Taschenlampen wie zur letzten Premiere, vielleicht wurden zu wenig am Ausgang wieder abgegeben – diesmal, so flüstert mir mein Nachbar zu, gebe es Wasser!

Doch vorher wird erst einmal kräftig aus dem Wort Banane herausgeholt, was herauszuholen ist: logopädisch (Banabe, Nababe, Nanabe...), semantisch: Warum ist die Banane krumm (ein Kommentar zur deutschen Vereinigung), und, mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne, auch historisch: ein Volk, verteilt auf erste und zweite Welt, fand wieder zusammen über die Neigung zu diesem Produkt aus einer dritten. Bronnens Text beschreibt, ja verhandelt das Gesetz der verbundenen Gefäße am Beispiel schwindender und sich neu formierender nationaler (politischer) Identitäten, etwa beim Übergang zwischen Weimar und dem Dritten Reich. Zweifellos eine Einladung für Frank Castorf, diesen Faden weiterzuspinnen. Die DDR als Atlantis, Rettung auf der ungeliebten Arche Noah. Menschen und Texte werden in Teertonnen abgefüllt. Über eine kubistisch gegliederte, kahle Drehbühne gerollt. Ein Bierglas steht an der Rampe, im Hintergrund liegen, in Kleider vermummt, Darsteller, die Texte murmeln, schreien, sich rückwärts reinziehen (einatmend sprechen). Ein Wasserstrahl kommt aus der Decke, trifft das Bierglas nicht. Das aber ist szenisch lösbar – der Humpen wird unter den Strahl geschoben. Später der versprochene Feuerwehrschlauch, der mal ins Publikum, mal in die Tonne gehalten wird: Schon lehnt sich alles neugierig nach vorn, um zu sehen, wie (betroffen) denn wohl die ersten Reihen reagieren: kleinlich, weil naß gemacht, oder generös, weil es ja Kunst ist, Provokation... Theater, das seine Wirkungslosigkeit mit physischer Bedrängung zu beheben sucht. Dort saßen dann auch gleich zwei Senatoren: der für kulturelle Angelegenheiten und sein Kollege, der es gern geworden wäre und sich statt dessen jetzt von Kids beraten läßt (Jugendsenator Krüger) – das Auge des Gesetzes also, hätte man in der DDR gemeint, aber wer gibt sich heute schon die Blöße...?!

Viel Zeit zur sublimen Entscheidung ist da auch nicht: Kanonenschläge kommen zur rhythmisch organisierten Explosion, Goebbels-Reden aus dem Volksempfänger, Nebelschwaden wie in Rockpalästen. Theater- und Wirklichkeitszitate en masse. Kopflastige Sinnschlüssel, die immer öfter abrutschen ins unerschrocken Banale und allenfalls sarkastische Lacher im Saal zeitigen, amüsiertes Kopfschütteln: Es gibt eben doch keine größeren Qualen als jene, die einem durch bemühte Kunst zugefügt werden.

Zudem ist das Live-Erlebnis einer Premiere in den ersten zehn Reihen ohnehin unerträglich: Die Kritiker links und rechts atmen schwer, sehen im 3-Minuten-Takt auf die Uhr (ob die auch ja nicht stehengeblieben ist) und notieren: blaues Kleid, Banane, Honecker auf Sofa. Bald sitzen sie wohl mit Notebooks im Theater und versenden ihre Beobachtungen direkt in die Druckereien der Zeitungen oder die Sprecherkabinen des Rundfunks. Dies war nun die dritte Premiere in drei Wochen, doch schon läßt das Interesse merklich nach. Weit weniger Kritiker-Prominenz quält sich in den Sitzen als vor einer Woche. Der avantgardistische Anspruch scheint so hoch angesetzt, daß das Überraschen immer schwieriger wird, ganz zu schweigen vom Schockieren. Unterdessen kommt das elementare Instrumentarium des Theaters, die Sprache, auf den Hund, und wenn eine Passage mal ganz durchhängt, wenn Castorf nun wirklich nichts mehr einfällt, dann heißt es in einem Abschnitt schlecht aufgesagten Theaters in Richtung Technikerkabine eben mal: „Klaus, gib mal mehr Ton!“, oder es wird „Schlaf wohl, du kleiner Trompeter“ abgesungen. Komplett, versteht sich.

Ist es Sehnsucht nach Tabus oder gar Heimweh nach Zensur, die dieses Theater so beliebig macht? Die Zensur hätte (und hat) Castorf intelligentere Lösungen abgetrotzt! Seine neues Haus gibt sich unbeirrt kämpferisch. Wider alle Umbenennungspläne nennt es sich „Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz“, schwarze Fahnen mit Ausrufungszeichen stehen für Piraterie, rote für Revolution. Eintrittspreisauszeichnungen werden mit Hammer und Sichel geziert. Und doch läßt Walt Disney grüßen. Das Theater gibt sich groß und funktional – in Wahrheit ist es Fastfood, ein Theater, das seit Wegfall geopolitisch veräußerlichter Konflikte seine Funktionskrise einfach nicht verwindet – und ich? Ich habe immer noch nicht begriffen, daß man unterdessen nicht eines Stückes wegen dort hingehen darf!

Darüber täuscht (mich) selbst ein lang anhaltender Beifall am Ende nicht hinweg, denn – auch das ist so eine Altlast, die mein Nachbar zurecht erinnert – die Volksbühne hatte schon immer das in seiner Begeisterung organisierteste, also unkritischste Publikum.

Arnolt Bronnen: „Rheinische Rebellen“, Regie Frank Castorf, Bühne: Hartmut Meyer, Volksbühne Berlin, wieder am 28.10. und 5.11.

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