: Polnische Lockvögel am Rande der Legalität
■ 80 Prozent der Devisentransaktionen sind illegal, der Staat läßt keine andere Wahl
Warschau (taz) – Der Dialog am Schalter der Warschauer Bank Handlowy, wo die meisten Ausländer ihre Devisenkonten haben, hat etwas Surrealistisches an sich. „Ich möchte dieses Geld bitte auf mein Konto einzahlen“, bietet ein Kunde an. Doch die Bankangestellte will das Geld gar nicht annehmen. „Sie können dieses Geld nur einzahlen, wenn sie es an der Grenze angemeldet haben“, schüttelt sie den Kopf. Davon weiß der Kunde nichts, und vom Grenzbeamten hat er keine Devisendeklaration bekommen.
Der Versuch, jedem Touristen eine solche zu überreichen, würde zwangsläufig in kilometerlangen Warteschlangen an den Grenzen enden. Doch nur mit den kleinen Formularen läßt sich überprüfen, ob ein Ausländer auch nicht mehr Devisen mitnimmt, wie er ins Land mitgebracht hat. Einen Export der wichtigen Devisen kann sich Polen nämlich nicht leisten. Daß die Zöllner inzwischen selbst nicht mehr wissen, wie sie die rund 57 Millionen Deklarationen jährlich verarbeiten sollen, spielt da keine Rolle.
Will man den Unsinn auf die Spitze treiben, kann man wie unser Kunde in der Bank Handlowy behaupten, man habe das Geld soeben von seinem Konto abgehoben und die Kassenquittung vorlegen. „Geht nicht“, triumphiert die Dame hinter dem Schalter, „da brauchen sie erst eine Ausfuhrgenehmigung, mit der können Sie esdann wieder einzahlen.“ Die Genehmigung, eine reine Formsache, kostet inzwischen umgerechnet vier Mark und bewahrt ihren Besitzer vor einer astronomischen Geldstrafe in Höhe von 500.000.000 Zloty, immerhin 55.000 Mark. So viel sieht das Steuer- und Devisenstrafrecht für jene Täter vor, die „ohne entsprechende Genehmigung Devisenwerte ins Ausland transferieren“.
Die drakonische Strafe wurde eingeführt, weil Polens Behörden mit Privatfirmen nicht fertigwurden, die sich auf Devisenschmuggel spezialisiert hatten. Inzwischen haben sie die zwielichtigen Devisenhändler nicht besser unter Kontrolle. Aber wird ein unwissender Ausländer erwischt, dürfen sie ihn ganz legal zugrunde richten.
Wie absurd die Devisenprozeduren in Polen wirklich sind, erkennt nur derjenige, der weiß, daß Experten des Finanzministeriums davon ausgehen, daß sowieso 80 Prozent aller Devisenausfuhren streng genommen illegal sind. Jeder Geschäftsmann in Polen weiß, wie einfach es ist, an den Kontrollen von Finanzministerium und Nationalbank vorbei Devisen auf ausländische Konten zu schieben. Es genügt, sich von einer ausländischen Firma, die nicht einmal existieren muß, Rechnungen ausstellen zu lassen. Wer als Firma oder Privatperson im Ausland Zahlungen erhält, muß diese innerhalb von drei Monaten nach Polen schaffen und in Zloty wechseln. Wird das Geld wieder im Ausland benötigt, muß es zurückgewechselt werden – eine langwierige wie kostspielige Prozedur, an der Polens Banken gern mitverdienen. Wer die Regelung umgeht, dem drohen 250.000.000 Zloty Strafe.
Umgehen allerdings lohnt sich, zumal die Behörden keinerlei Möglichkeiten haben, ausländischen Konten auf die Spur zu kommen. Wer zum Beispiel in Polen eine Reise ins Ausland bei einem westlichen Reisebüro buchen will, der trägt über den Preis nicht nur Kursdifferenzen und die Kosten des doppelten Umtauschs, sondern auch noch eine 20prozentige Luxussteuer. Das alles entfällt, wenn er die Reise gleich im Westen bucht und von seinem Westkonto bezahlt.
Kein Wunder, daß immer mehr Polen die Steuerfahndung links liegen und ihr Geld im Ausland lassen. Niemand weiß genau, wie viele der Unternehmen und Anteile, die polnische Firmen im Ausland besitzen, mit Genehmigung der Warschauer Behörden zustande kamen. Früher haben Polens Bürger ihre ersparten Dollars in Kaffeekannen und unter Bettdecken vor dem Finanzamt versteckt, heute spekulieren sie mit iberischen Immobilien. Westliche Banken und Anlageberater wissen von dem neuen Hobby und werben ungeniert in Polens Zeitungen. Polens Behörden wird das gar nicht freuen. Aber die Aussicht, Mitbesitzer einer spanischen Strandpromenade zu werden, ist eben allemal angenehmer, als sich mit den Devisendeklarationen von Banken und Zollämtern herumzuschlagen. Klaus Bachmann
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