: Atom-Ethik gegen „Akzeptanzkrise“
Forschungsminister Riesenhuber umsorgt Atomkraft/ BMFT-Arbeitskreis „Zukunft der Kernenergie“ will mit ethischen Argumenten für Akzeptanz sorgen/ Atomkritiker einbinden ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Mit „offener Informationspolitik“ wollen die Mitglieder eines regierungsamtlichen Strategiezirkels das Image der Atombranche verbessern. Doch Anspruch und Wirklichkeit ließen sich so ohne weiteres nicht zusammenbringen. Ein halbes Jahr mußte das Papier des Arbeitskreises „Zukunft der Kernenergie“ im Hause seines Initiators Heinz Riesenhuber (CDU) zwischenlagern, ehe man sich schließlich zur Veröffentlichung durchrang. Es bereite eben „politische Bauchschmerzen, so etwas an die Öffentlichkeit zu geben“, bekannte ein Ministerialer nach der Hängepartie.
Verwunderlich ist das nicht. Denn der „Ergebnisbericht“ listet detailliert jene Argumentationsstränge auf, mit denen die 31 Autoren – mehrheitlich aus Stromwirtschaft, Reaktorindustrie und Wissenschaft – glauben, die „Akzeptanzkrise“ der Atomenergie überwinden und „ein Klima zum Handeln“ schaffen zu können. In dieser Skepsis sehen sie das einzige Hindernis gegen den kräftigen Ausbau der Atomenergie. Der nach Tschernobyl auch in der Union beliebte Terminus von der „Übergangsenergie Kernkraft“ wird in den Giftschrank verbannt.
Künftig sollen kleine Atommeiler, kraft-wärme-gekoppelt und „verbrauchernah errichtet“, nicht mehr nur für Strom, sondern auch für warme Wohnzimmer sorgen. Hochtemperaturreaktoren könnten für industrielle Prozeßwärme und „einen sanften Übergang zu umweltverträglichen Treibstoffsystemen“ ermöglichen.
Bis zum Jahr 2050 erwarten Riesenhubers Experten ein Wachstum der weltweiten Kernenergiekapazität „um den Faktor 4 bis 8“. Doch wie sag' ich's meinem Kinde? Der Versuch, die Bevölkerung mit immer neuen „probabilistischen Sicherheitsanalysen“ von der Harmlosigkeit der Atomkraftwerke zu überzeugen, habe nicht gefruchtet, stellen die Autoren, unter ihnen der WDR-Journalist Hagen Beinauer, ernüchtert fest. Also gelte es, „der Auseinandersetzung um die Kernenergie eine neue Qualität zu vermitteln“. Soziologen und Psychologen sollen die Atomkritiker nun mit ethisch begründeten Argumenten unter Druck setzen.
Konkret: Eine rasch wachsende Weltbevölkerung werde den globalen Energieverbrauch trotz aller Einsparbemühungen bis zum Jahr 2010 um voraussichtlich 75 Prozent steigen lassen. Die Konsequenz wären Unruhen, bis hin zu kriegerischen Konflikten „als Folge von Energiemangel“ (der letzte Golfkrieg wird genannt), „eine noch schnellere Vernichtung der Wälder, Ausbreitung der Wüsten und schließlich Beschleunigung der globalen Klimaänderung“. Deshalb müsse mit einem Ausbau der Atomenergie in den Industrieländern dafür gesorgt werden, „daß das leicht zu handhabende Öl bezahlbar bleibt für die Länder, die sich keine umweltfreundliche Alternative leisten können“. Wer weiter den Ausstieg aus der Atomkraft proklamiere, mache sich mitschuldig an irreversiblen Umweltschäden, resümiert der Riesenhuber-Zirkel.
Das „objektive Risiko“ der Atomenergienutzung, stellt der Arbeitskreis fest, sei „in Wahrheit vergleichsweise gering“. Künftig gelte es dagegen verstärkt „die Risiken anderer Energiequellen“ – etwa Landschaftsveränderungen durch Stauseen oder die „gewaltigen Materialmengen“ bei der Stromproduktion aus Photovoltaik und Windenergie – in den Vordergrund zu rücken. Dafür müsse allerdings die „Vertrauenslücke“ geschlossen werden, die die Bevölkerung auf Argumente der AKW-Akteure ausgesprochen skeptisch reagieren lasse: „Die notwendige engere Kooperation zwischen Industrieunternehmen und staatlichen Entscheidungsinstanzen“ sei „sehr anfällig für Fehlinterpretationen seitens der Bürger“. Um solchen Fehlinterpretationen künftig vorzubeugen, schlagen Riesenhubers Experten vor, „personale und institutionelle Allianzen mit kritischen Gruppen und Institutionen aufzubauen“. Gerd Rosenkranz
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