: Eine Leiche reicht auch für zwölf
Nach dem positiven Gerichtsurteil: Noch einen Tag warten auf den erkämpften ■ Präparierkurs im UKE
Nervös klopft Rainer an den kleinen Holzkasten in der Seitentasche seines weißen Doktorkittels. Er hat sein Abi mit 1,9 gemacht, regulär einen Medizinplatz bekommen, jetzt will er auch studieren. Es ist 9.45 Uhr, in jedem Moment müßte Professor Dr. Hollstein kommen, der Direktor der Anatomie, und sagen, was er denn machen will, jetzt, wo das Gericht
entschieden hat, daß 47 Medizinstudenten doch an dem Praktikum teilnehmen dürfen.
„Ich will heute nicht mehr diskutieren, ich will präparieren“, sagt Juliane entschlossen. Leichen auseinanderschneiden und anschließend präparieren. Ein wichtiger Abschnitt im Studium eines Mediziners. In dem kleinen Holzkasten sind die Instrumente verstaut. Ihr
Herz klopft, sagt Juliane. Nicht wegen der Leichen, wegen der Wut, die sich in der einen Woche angestaut hat, seit die Fachbereichsverwaltung per Los darüber entschieden hatte, welche 70 Studierenden an dem Anatomie-Kurs nicht mitmachen dürfen.
Ein Konflikt, der im Prinzip seit sechs Monaten programmiert ist. Hatte doch das Oberverwaltungs-
gericht bereits im April entschieden, daß das UKE 75 Studenten zusätzlich ausbilden soll. Die Richter wollten seinerzeit nicht anerkennen, daß die Uniklinik ihre Ausbildungskapazität von 300 auf 240 Studienplätze pro Semester reduziert. Zwar gilt seit 1989 eine neue Approbationsordnung, die für Praktika eine Teilnehmerzahl von 20 festschreibt. Doch kleinere Kurse, so die Argumentation des OVG, bedeuten auch eine geringere Belastung der Lehrenden. Sprich, sie sollen mehr Stunden geben und Studenten unterrichten.
10 Uhr. Professor Hollstein kommt, sammelt die Studenten, die er eigentlich nicht ausbilden will, im Mikroskopiersaal um sich. Wer denn jetzt erfolgreich geklagt hat, soll die Hand heben. Und dann die Gegenprobe. Es folgt eine längliche Erklärung über Zeiten, in denen Gerichte entscheiden, wie Ärzte auszubilden haben und schließlich die definitive, tröstliche Zusage, „morgen“ solle es endlich losgehen mit dem Präparieren. Vorher ginge es nicht, da sei noch zuviel zu organisieren. Über Fehlzeiten und Versäumtes in der ersten Woche, so schüttelt der Professor nunmehr väterlich den Kopf, sollten sich die Kinder mal keine Gedanken machen.
Sorgen machen müssen sich allerdings jene 30 Studenten, die noch nicht geklagt haben. Sie hatten gestern noch keine weißen Kittel an. Geduldig erklärt ihnen Ge-
org Zeschwitz vom Fachschaftsrat, wie sie Beschwerde einlegen können. Der entsprechende Schriftsatz liegt in mehrfacher Kopie vor. Noch im letzten Winter, so wird darin argumentiert, haben sich zwölf Studenten eine Leiche geteilt. Heute dürfen es nur noch zehn sein. Die zusätzlichen ein bis zwei Personen könnten nicht das Problem sein. Außerdem habe das Anatomische Institut Geld für Lehraufträge bewilligt bekommen, es könne sich sehr wohl personelle Unterstützung organisieren.
Heute früh wird das OVG aller Wahrscheinlichkeit nach auch für die letzten Studenten die Teilnahme verfügen. Der Streit zwischen Justiz und Uni ist damit aber noch lange nicht beigelegt.
Kaija Kutter
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