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Ostdeutsche gegen Stromkonzerne

Vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen Regierung und Industrie den Stromvertrag/ Ostdeutsche Städte wollen keine Zwangsehe mit westlichen Stromkonzernen  ■ Aus Stendal Hermann-Josef Tenhagen

Die Bundesregierung hat vor dem Bundesverfassungsgericht die umstrittenen Verträge zur Regelung der Energiewirtschaft der fünf neuen Länder (FNL) verteidigt. Staatssekretär Dieter von Würzen sagte vor dem in Stendal zusammengetretenen 2. Senat des BVG, der Stromvertrag sei im Sommer 1990 notwendig gewesen, um einen energiepolitischen Notstand in den FNL abzuwehren. „Für den Aufschwung Ost brauchen wir eine gesicherte Stromversorgung.“ Daß der Stromverbrauch inzwischen zurückgegangen sei, „konnte nicht vorhergesehen werden“. 97 Prozent der 7.500 Ostkommunen hätten mittlerweile Konzessionsverträge mit den regionalen Stromversorgern abgeschlossen und seien zufrieden. 173 Städte und Gemeinden aus Ostdeutschland hatten gegen die vertraglichen Regelungen geklagt, weil sie die Bildung von energiepolitisch selbständig agierenden Stadtwerken verhindere.

Würzen erklärte den per Sonderwaggon angereisten VerfassungsrichterInnen, die Anpassung an die Situation in den alten Bundesländern sei erstes Ziel der Bundesregierung gewesen. Der Politiker verschwieg dabei, daß er noch während der Verhandlungen um den Stromvertrag von der Regierung zum Nachverhandeln mit den Stromkonzernen losgeschickt worden war – ohne Ergebnis.

Der Vertreter der meisten klagenden Kommunen, Rechtsanwalt Peter Becker, machte die „ungelöste Vermögensfrage“ für die dürftigen Fortschritte beim Aufbau ostdeutscher Stadtwerke verantwortlich. Den Kommunen die materielle Übertragung der Energieversorgungsanlagen zu verweigern, widerspreche dem Artikel 28 des Grundgesetzes und sei der „Geburtsfehler“ des Stromvertrages. Eine „Zwangsehe“ der Kommunen mit den Stromversorgern, wie sie der Stromvertrag vorsehe, könne es auf keinen Fall geben. Der Bürgermeister von Schwerin, Johannes Kwaschik, brachte es auf die Formel: Die Frage vor Gericht sei, „ob die kommunale Selbstverwaltung denselben hohen Stellenwert in den neuen Ländern bekommen soll wie in den alten“. Wer sage, die Stromverträge gewährleisteten dieses, betreibe eine „unglaubliche Schönfärberei“. Am deutlichsten widersprach dem erwartungsgemäß der Prozeßbevollmächtigte der drei Stromriesen RWE, Preußen Elektra und Bayernwerk, Fritz Offenbühl. Offenbühl trug vor, daß „die Gemeinden in der Energieversorgung mehr eine subsidiäre Revidualkompetenz“ hätten – mit anderen Worten, die Energieversorgung ist nicht ihr Ding. Deshalb sei es auch nicht notwendig, ihnen die Energieversorgungsanlagen zu übergeben. „Eigentum von Verwaltungen ist nur durch den Verwaltungszweck definiert.“

Professor Harms, der den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und den Verband industrieller Kraftwirtschaft (VIK) in Stendal vertrat, nahm zu dem Argument Zuflucht, daß der Industriestrom durch Stadtwerke teurer werde. „Das Bestreben nach kommunaler Energieerzeugung macht die Bemühung um billigen Industriestrom zunichte.“ Rechtsanwalt Becker konterte diesen Vorwurf mit der Bemerkung, noch vor wenigen Wochen habe sich der VIK über die hohen Strompreise in Ostdeutschland beschwert. „Meines Wissens macht noch kein Stadtwerk in Ostdeutschland die Strompreise.“

Die Realität ostdeutscher Stromwirtschaft hatte Jürgen Hohberg, Bürgermeister der Gemeinde Sollstedt, beschrieben. Sollstedt will nach der Stillegung eines Industriekraftwerks die Wärmeerzeugung für 500 Wohnungen und die öffentlichen Gebäude mit einem Blockkraftheizwerk sicherstellen. Den Strom würde die Landgemeinde gerne verkaufen, um das Kraftwerk besser finanzieren zu können. Tut sie das, soll sie nur 9,5 Pfennige pro Kilowattstunde erhalten. Beteiligt sie hingegen den Stromkonzern Energieversorgung Nordthüringen an dem Blockkraftheizwerk würde sich der Preis, den die Kommune erhält, erheblich erhöhen. Becker meinte dazu auf einer Pressekonferenz am Nachmittag: „Wir müssen dafür sorgen, daß den Richtern die konkreten Schwierigkeiten der Kommunen deutlich werden.“ Das Urteil des Verfassungsgerichtes soll noch vor Weihnachten ergehen.

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