: Goldberg
■ betr.: "Eine Kleinstadt dreht durch", taz vom 22.10.92
Betr.: „Eine Kleinstadt dreht durch“, taz vom 22.10.92
Über Ihren Artikel bin ich arg erschrocken und innerlich betroffen. Ich hatte mir nicht vorstellen können, daß 500 Menschen sich so in Haßgefühle hineinsteigern können. Da Sie von einer Frau, der Amtsvorsteherin von verschiedenen Gemeinden mit gemeinsamer Verwaltung berichteten, die als einzige gegen diesen Haß vernünftige Worte an alle richten wollte und niedergebrüllt wurde, erscheint es mir als sehr wichtig, daß ich ihr meine Anerkennung für ihr Verhalten sage.
Mein Mann und ich sind erst seit wenigen Tagen taz-Leser, und das sehr gerne. Ihr habt gute Themen, wichtige, schreibt die allgemeinen Tagesnachrichten kürzer und präziser als unsere Süddeutsche Zeitung, die wir seit Jahren lesen. Wir wünschen Euch, daß Ihr durchhalten könnt! Ilse Sturm, Stadtbergen
[...] Vor zehn Jahren, ja, da forderte die linksintellektuelle Szene auf, aus der Bevölkerung das den etablierten und grauen Politikern entgegenzuprotestieren, was nicht mehr bürgernah und bedrückend ist. Damals ging es ja auch noch um Umweltschutz und Frieden. Aber kaum, daß der linksintellektuellen Szene etwas nicht in den Kram paßt, wird sie selbst zu grauen Betonköpfen, an denen der Geist der Bürgerdemokratie abprallt. Was ist denn der Unterschied zwischen dem Begehren der Friedensbewegung und den Menschen in Goldberg? Beide Gruppen, die Friedensdemonstranten und die Gegner der Aufnahmestelle für Asylbewerber, wehren sich gegen eine Ideologie, die sie nicht von Herzen tragen und der sie sich zwangsweise ausgesetzt fühlen, die Friedensaktivisten von der Ideologie der atomaren Abschreckung, die Aktivisten gegen die Aufnahmestelle für Asylsuchende von der Ideologie „Hitler hat Völkermord begangen, und die heutigen Menschen, über 50 Jahre später, müssen dafür büßen, indem sie beliebig viele Asylsuchende aufzunehmen haben“. [...]
Ich habe bereits mit so vielen Leuten gesprochen, die dem „Asylantenstrom“ ablehnend gegenüberstehen (eine Meinung, die ich nicht teile, denn Deutschland soll Notleidenden solidarisch gegenüberstehen!). Davon sagen mir die meisten, daß es ihnen gar nicht gegen „Ausländer“ schlechthin ginge, sie sind froh darüber, daß unsere Gesellschaft durch das Leben und die Schaffenskraft ausländischer Mitbürger bereichert wird. Was sie kritisieren, ist ein zu starker Zuzug, der zuviel Geld verschlingt. Außerdem wird das Argument nicht akzeptiert, und das zu recht, daß „wir“ nur deshalb Asylbewerber aufzunehmen haben, weil es in Deutschland einmal einen Hitler gab. Denn dieses hieße tatsächlich, Menschen für etwas bestrafen, was sie gar nicht getan haben. Solche Argumente schüren erst Ausländerfeindlichkeit, sie erzeugen gerade bei temperamentvollen Jugendlichen Trotzreaktionen, die unter Umständen in ausländerfeindlichen Terror münden können.
Diese Kampagne aber, die Ablehnung eines zu starken Zuzuges von Asylbewerbern als Ausländerfeindlichkeit hinzustellen, ist sachlich falsch. Jemand, der einen begrenzten Zuzug von Ausländern wünscht, muß noch lange kein Fremdenverächter sein. [...] Martin Warnecke,
Witzenhausen
[...] In Goldberg setzten sich BürgerInnen auf die Straße und blockierten damit die Durchfahrt zweier Busse. Vor zwei Jahren wurden bei solchen Blockaden (Brokdorf, Mutlangen etc.) Menschen niedergeknüppelt und der Strafverfolgung ausgesetzt. Die Blockierer wurden zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilt, weil die deutsche Justiz dieses Vorgehen als Nötigungsstraftatbestand iSd Paragraphen 240 I StGB ansah.
Und hier? Die Polizei steht dabei und schafft es zum Glück, nach vier Stunden die BürgerInnen zum Verlassen der blockierten Straße zu bewegen. Keine Erwähnung, daß hier doch eventuell dieser Protest nicht friedlich war, sondern daß Gewalt angewandt wurde, ja daß dieses Blockieren iSd Paragraphen 240 II StGB verwerflich war.
Es ist nicht nur eine Behauptung, daß bei der Bekämpfung der linken Szene andere Maßstäbe und wohl auch Rechtsbegriffe gelten. Hier ist eindeutig der Beweis geliefert worden.
[...] Die öffentlich-rechtlichen Medien sprechen vom friedlichen Protest der BürgerInnen, der zeigen würde, daß es auch ohne Gewalt gehe (was denn überhaupt?). Es ist erschreckend und beängstigend, was zur Zeit in diesem Land passiert, und es erweckt den Anschein, daß es, wie vor 50 Jahren, wieder keiner merken wird. Andreas Wiese, Hagen
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