: Die Angst spüren, wo immer sie auftritt
■ Zur Neufassung von Wolf Wagners Buch „Uni-Angst und Uni-Bluff“
Berlin. Nach fünfzehn Jahren und zehn Auflagen hat Wolf Wagner sein Buch „Uni-Angst und Uni-Bluff“ völlig neu geschrieben. Auch die Neufassung ist sowohl ein Ratgeber fürs Studium als auch eine Analyse der Hochschule.
Das neue Buch ist etwas kürzer, dennoch gehaltvoller, in der Argumentation weiterentwickelt, in der Darstellung übersichtlicher aufgebaut und sprachlich stilvoller, trotz alledem klarer verständlich und auch unterhaltsamer.
Zu den Neuerungen in der Analyse zählt, daß Wolf Wagner auf den Uni-Bluff eine „dreifache Entfremdung“ zurückführt: vom Stoff, von den anderen und von mir selbst. Die Grundlage dafür bildet für ihn der „wertende Vergleich“, mit dem ich mich ständig in der Hierarchie und Konkurrenz selbst verorte. Verschärft werde dies durch den „elitären Blick“ der Professoren: nur wer dem verklärten Bild ihrer eigenen Studienzeit nahekommt, wird gefördert („Pygmalion-Effekt“).
Wolf Wagner hat seine Kritik in dem neuen Buch auch auf einen Bluff im herrschenden Wissenschaftsverständnis ausgedehnt: Wissenschaft habe nämlich zwei notwendige Seiten, die des „Entstehungs-“ und die des „Rechtfertigungsprozesses“ – doch präsentiert werde nur die Fassade der Ergebnisse und ihrer Überprüfung. „Die bewußte und offene Verbindung dieser beiden Seiten des Wissenschaftsprozesses... wäre eine ungeheure Bereicherung.“
Damit klingt das Grundprinzip der im letzten Kapitel formulierten „Gegenstrategien“ an: das Wechseln zwischen verschiedenen Arbeits- und Denkweisen. Statt für ein Problem jeweils eine Empfehlung zu geben, setzt sich Wolf Wagner in der Neufassung durchgängig mit verschiedenen Lösungsmöglichkeiten auseinander, was den Gebrauchswert des Textes beträchtlich erhöht. Er setzt auch nicht mehr wie früher alles auf die Bildung von „Studienkollektiven“; zum Beispiel „Fragestellungen zu entwickeln, die lebensgeschichtliche Hintergründe mitthematisieren“, bleibt nicht mehr dem Kollektiv vorbehalten. Vielleicht kommen Gruppenzusammenhänge jetzt etwas zu kurz, scheinen gute Arbeitsgruppen und autonome Seminare doch immer wieder eine wichtige Rolle im Studium zu spielen.
Das undogmatische Hin- und Hergehen zwischen verschiedenen Strategien bezieht Wolf Wagner auch auf den Umgang mit der Uni- Angst. Es geht „darum, die Angst zu spüren, wann immer sie auftritt“, und „immer wieder neu eine Antwort auf die Frage zu finden: Wieviel kann ich wagen, wo muß ich mich durch Anpassung schützen?“
Am Schluß schwankt Wolf Wagner zwischen der Empfehlung, sich sicherheitshalber nicht zu sehr mit der Uni zu identifizieren, und dem Fazit, die Universität könne sich „nur dort ändern, wo sich jemand traut, zu tun, was ihn oder sie wirklich interessiert.“
Wolf Wagners Buch ist ein – um es mit dem Bluff zu sagen – unverzichtbarer Beitrag zur Analyse von Hochschule und Wissenschaft und ihrer Probleme. Und ein Buch über das Studieren (und das Lehren), das im Studium und in der Lehre wichtiger und produktiver werden könnte als jede fachliche „Pflichtlektüre“. Lars Vogelsang
Wolf Wagner: „Uni-Angst und Uni-Bluff; Wie studieren und sich nicht verlieren“. Vollständig überarbeitete Neuauflage. Berlin: Rotbuch Verlag 1992, 128 S., 12 DM
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