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Ins Wasser gefallen

■ Thomas Hürlimanns „Der Gesandte“ in Konstanz

Rechtzeitig zur Siebenhundertjahrfeier der Schweiz hatte Thomas Hürlimann ein Stück geschrieben, das die verdrängte Kollaboration des neutralen Landes mit den Nazis thematisierte. Berns Botschafter im braunen Berlin, Hans Frölicher, tanzte und schlief sich durch die Betten, parlierte mit den ersten Damen und verteilte Pralinées von Sprüngli, damit die Geschäfte blühten und daheim die Häuser heil blieben. Er lieferte Holz für KZ-Baracken genauso wie Reis oder Messerschmitts; dem Führer machte er klar, daß die Schweizer Berge der beste Tresor fürs „Nibelungengold“ seien und niemand seine eigene Bank überfällt. Für den Hitler-Attentäter Maurice Bavaud hatte er nicht einmal ein gutes Wort.

Doch anders als Urs Widmer in seinem furiosen Spektakel „Frölicher – ein Fest“, ging es Thomas Hürlimann nicht nur um die nachzuholende Geschichtslektion für seine Landsleute. Sein Frölicher heißt Zwygart, das Stück „Der Gesandte“, und der konkrete Fall erzählt von Macht, Moral und Politik und von der Verantwortung und dem Wirklichkeitsverlust eines, der dazwischen geriet.

Heinrich Zwygart wird von Schwester und Vater als Held und Retter des Vaterlandes erwartet. Er kommt, trotz brennendem Berlin und russischer Linien, pünktlich am 8.Mai 1945 zu Hause an und muß feststellen, daß seine Behörde Mikrofone installiert hat, die Friedensfeier ohne ihn stattfindet und die Umdeutung der Geschichte bereits vollzogen ist: Das Grenzheer hat die Nazis abgeschreckt, das neue Selbstbild des Landes als Widerstandshorst braucht ihn als Sündenbock.

Das alles geschieht binnen Tagesfrist: „Der Gesandte“ ist auch ein naturalistisches Seelendrama, die Enge der Verhältnisse ist ins Kammerspiel geschnürt.

Die Demontage eines Politikers zum Nobody, das Schuldigwerden mit guten Grundsätzen und der Siegeszug der Wendehälse sind Themen, die den „Gesandten“ auch im neuen Deutschland aktuell erscheinen lassen. Kühn wie so oft wagte das Stadttheater Konstanz jetzt als erste Truppe nach der Zürcher Uraufführung durch Achim Benning einen Versuch – und traf gründlich daneben.

Verantwortlich für das Mißlingen ist vor allem die unentschlossene Regie Peter Reins. Weder inszeniert er das schweizerische Aroma des Stoffes, noch zeigt er seine Relevanz für die deutsche Situation. In der Grenzstadt Konstanz kennt man die Eidgenossen aus eigener Anschauung, da sind ein (flaggen)roter Vorhang, ein paar Schweizer Mundartlieder und eine blaue Berglandschaft auf der schrägen Spielfläche beleidigend allgemeine Versatzstücke. Der offene Bühnenraum des Ausstatters Peter Brower wird weder zum großbürgerlichen Ambiente eines Offiziers- und Diplomatenhaushaltes, noch zeigt er die latent inzestuöse Enge der Zwygarts. Er ist aber auch kein Ort spielerischer Verwandlungen. Dazu müßten Gesten von sozialen Positionen erzählen, Brüche und Widersprüche herausgearbeitet werden. Die Figuren bleiben aber blaß: der Departementssekretär Hoby, der seinem bisherigen Vorgesetzten die Nachricht von seiner Absetzung bringt, ist nicht, wie wünschenswert, die aktuellste Figur, sondern so sehr die Charge eines Wendehalses, daß man sich als Zuschauer nicht einmal zu distanzieren braucht. Regine hat das Leben einer jungen Frau so sehr entbehrt, daß sie fast ihm, dann dem Bruder um den Hals fällt. Und der Vater ist ein etwas lächerlicher Militärkopf. Peter Rein reißt keine Figuren auf und spitzt keine Muster zu. Des Autors Ermahnung gegen Naturalismen nutzt er zu ein paar müden Gags. In die Leere, die dabei entsteht, fällt auch der Zwygart Klaus Redlins. Er muß soviel posieren und mit der Pistole fuchteln, daß man ihm die innere Not nicht glaubt und den Diplomaten nur aus Hürlimanns geschliffenen Formulierungen erahnt. Was das Stück im deutschen Kontext taugt, ob Perlen aufblitzen, wenn man seine Geschlossenheit aufbricht, bleibt mehr denn je zu zeigen. Gerhard Mack

Thomas Hürlimann: „Der Gesandte“. Regie: Peter Reins. Mit: Klaus Redlin, Güntere Zulaa, Ursula Mihelic, Frank Lettenewitsch. Theater in Konstanz, wieder am 5. und 6., 10. bis 13., 21., 22., 24. bis 26., 28., 29.November.

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