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Danach greifen

Julian Barnes' jüngste Zustandsbeschreibung der Liebe  ■ Von Helmut Ziegler

Definitionen der Liebe gibt es viele. Die von Max Merkel beispielsweise ist knapp und vulgär: „In der Liebe ist es wie beim Fußball: Das Vorspiel ist ja ganz nett, aber rein muß er doch!“ Die von Stendhal („De l'Amour“) wiederum umfaßt gut fünfhundert Seiten, umkreist ihren Gegenstand akribisch von allen Seiten und endet dennoch mit der Ergänzung „Vom Versagen“.

Für Stuart dagegen ist die Liebe das System, das Menschen dazu bringt, „dich nach dem Sex Darling zu nennen“.

Stuart ist neben Gillian und Oliver die Hauptfigur in Julian Barnes neuem Roman „Darüber reden“. Mit seinem Werk liegt der 46jährige britische Autor irgendwo zwischen den beiden Erstgenannten. Barnes ist nie so platt wie der Trainer und nicht so theoretisch wie der Romancier, auf Wahrheit und Erfolg hat er es jedoch gleichermaßen abgesehen.

Schon in seinem Debüt „Metroland“ gab es eine erste, kompakt- ironische Begriffsbestimmung der Liebe. Am Ende des Romans, der Ich-Erzähler ist nach den Wirren der Pubertät und der Euphorie des ersten Verliebtseins endlich „erwachsen“, erstellt er eine rührende Liste der Gründe, warum er sie liebt. „Weil ich sie einmal gefragt habe: ,Wirst du mich immer lieben, egal was passiert?‘ und sie geantwortet hat: ,Bei dir piept's wohl.‘“

In seinen folgenden Büchern erweiterte Barnes das Feld. „Als sie mich noch nicht kannte“ thematisierte die Eifersucht in all ihren Variationen; „Flauberts Papagei“ feierte die Liebe zur Literatur als neutrale Objektbeziehung. „In die Sonne sehen“ schließlich klärte die Fronten im Krieg der Geschlechter — „Frauen wurden zum Glauben erzogen, die Männer seien die Antwort. Waren sie nicht. Sie gehörten noch nicht einmal zu den Fragen.“ Im Herzstück der „Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln“, dem halben Kapitel über die Liebe, setzte Barnes seiner Ehefrau ein höchst privates Denkmal.

Was sollte nach dieser fast schon enzyklopädisch anmutenden Ackerei zum Thema Liebe noch kommen? Nun, es kam die totale Reduktion: „Darüber reden“. „Darüber reden“ ist, dies vorweg, Barnes' bisher bestes Buch, eine klassische Dreiecksgeschichte. Es gibt Stuart, einen biederen Bankangestellten („Hallo, ich bin Stuart Hughes, freut mich, Sie kennenzulernen“). Es gibt Gillian, seine Frau, die Bilder restauriert und anfangs wenig redselig ist („Ich hab Stuart kennengelernt. Ich hab mich verliebt. Ich hab geheiratet. Was ist an der Geschichte schon dran?“). Und es gibt den lebenslustigen Intellektuellen Oliver, Stuarts Jugendfreund („Oh Scheiße. Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße, SCHEISSE. Ich bin in Gillian verliebt.“)

Es ist vor allem der simple Kunstgriff, die Protagonisten (und einige Randfiguren) direkt zum Leser sprechen zu lassen, der „Darüber reden“ auszeichnet. Durch dieses gegenseitige Bestätigen, Korrigieren und Widersprechen führt Barnes etwas in die Literatur ein, was es im Fernsehen mit Sendungen wie „Notruf“ oder „Auf Leben und Tod“ bereits gibt: das Drama in der Nachbarschaft — live, in Farbe und mit allen O-Tönen. Daß Barnes natürlich präziser (er studierte Jura in Oxford), humorvoller (als Lexikograph war er beim „Oxford English Dictionary“ für Obszönitäten zuständig) und spannender (nebenbei veröffentlichte er vier „Duffy“-Krimis unter dem Pseudonym Dan Kavanagh) erzählt als alles Reality-TV zusammen, versteht sich von selbst.

„Darüber reden“ ist aber nicht nur ein gefundenes Fressen für Lese-Voyeure. Die an sich banale Tragödie von Stuart, Gillian und Oliver ist zugleich ein Mikrokosmos, in dem sich das ganze Übel der westlichen Welt spiegelt. In der Tradition Flauberts setzt Barnes kurzerhand jene auch heute noch von allen geschätzte Illusion außer Kraft, Liebe könne unberührt von gesellschaftlichen Zwängen existieren.

Insbesondere Stuart wird brutal überrollt, als ihm Oliver eröffnet, daß „Liebe im Wert steigt und fällt wie jede andere Währung“, er deshalb „das Mädchen übernehmen werde“, Stuart nur eine stille Teilhaberschaft anbieten könne („gemeinhin als Freund bezeichnet“), dieser aber „den Dienstwagen mit Chauffeur zurückzugeben“ habe. Auf diesen massiven Kurseinbruch an der Gefühlsbörse, dieses unfriendly take-over, reagiert Stuart anfangs mit Gewalt. Später eignet er sich jedoch Olivers zynische merkantile Metaphorik an: „Liebe und Geld sind zwei große Hologramme. Du greifst danach, und deine Hand geht einfach durch sie durch.“ Stuart entschließt sich deshalb, nach dem Verlust seiner Frau Karriere zu machen: „Mit Geld kann man keine Liebe kaufen? Oh doch. Man muß nur genug Geld haben.“

Natürlich endet das Buch nicht so defätistisch. Es endet, wie fast jede Liebesgeschichte, einsam und richtig todtraurig, denn nicht nur Stuart, sondern auch Gillian und Oliver müssen für ihr kleines Glück teuer bezahlen. „Liebe kann die Geschichte nicht ändern“, behauptete Julian Barnes vor Jahren in einem Interview, „aber sie kann uns lehren, die Geschichte zu ignorieren!“

Diese Hoffnung hat er mit „Darüber reden“ ganz offensichtlich verabschiedet. Natürlich versucht Barnes, diese bittere Pille zu versüßen: mit einer glanzvollen Sprache, die von Person zu Person wechselt (Gertraude Krueger ärgert sich bestimmt selbst am meisten, weil Barnes' geschmeidiges Englisch einfach nicht eins zu eins ins bollerige Deutsch zu übertragen war), sowie einem Füllhorn voller funkelnder Bonmots, bizarrer Theorien, psychologischer Scherze und hellsichtiger Lebensweisheiten.

An dem Gesamtbefund aber ändert das nichts. „Darüber reden“ ist Barnes' letzte große Zustandsbeschreibung der Liebe — über ihre Unmöglichkeit in den Zeiten des Spätkapitalismus.

Julian Barnes: „Darüber reden“. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Haffmans Verlag, Zürich, 264 Seiten, 38DM.

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