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Kundgebungen gegen Fremdenhaß

■ Demos rund um Jahrestag der Reichspogromnacht/ Streibl wirbt für Autonome

Berlin (taz) – Rund um den Jahrestag der Reichspogromnacht am 9.November 1938 wird es gleich vier Großdemonstrationen gegen Fremdenhaß und Antisemitismus geben. Am 4.November wollen in Berlin diverse linke Initiativen unter dem Motto „Schluß mit der rassistischen Asyldebatte“ einen Marsch veranstalten. Ihr Aufruf erging in Reaktion auf die Großdemonstration am 8.November, die alle Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses von der PDS bis zur CDU gemeinsam initiiert haben. Mit dieser Veranstaltung solle Deutschland als ausländerfreundliches Land hingestellt werden, „ohne den rassistischen Konsens im Innern zu gefährden“, kritisierte die „Antirassistische Initiative“ als eine der zur Alternativdemo aufrufenden Gruppen.

Zur Berliner Großdemo am 8.November, die sich den Grundgesetzartikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ zum Motto erkoren hat, werden ungleich mehr Teilnehmende erwartet. Dafür sorgt nicht nur eine bundesweite Mobilisierung der Parteispitzen, sondern auch der bayerische Ministerpräsident Max Streibl (CSU). Dieser hievte in den letzten Tagen das Thema kostenlos in alle Medien und stellte sich freundlicherweise sogar als Werbeträger für originär autonome Positionen zu Verfügung: Die Demo, so stimmte er der Kreuzberger Szene zu, sei eine „reine Schauveranstaltung“. Die CDU- PolitikerInnen Richard von Weizsäcker, Schirmherr des Marsches, und Hanna-Renate Laurien, als Berliner Parlamentspräsidentin eine der Aufrufenden, bezichtigten Streibl des Analphabetismus: Er habe den Aufruf nicht gelesen. Die bayerische SPD-Chefin Renate Schmidt appellierte gestern in einem Brief an ihre Amtskollegen von CSU, FDP und Grünen, durch einen gemeinsamen Aufruf Flagge zu zeigen. FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff warf Streibl eine „planvolle Brüskierung Weizsäckers“ vor. Edmund Stoiber, bayerischer Innenminister, stimmte indes seinem Regierungschef zu: Man soll nicht mit Demonstrationen Handlungskompetenz vortäuschen, das sei „populistisch“.

Aber die Sonderzüge und Busse nach Berlin sind schon gebucht worden. Zu der Veranstaltung – die Abschlußkundgebung gegen 15 Uhr auf dem Gendarmenmarkt wird in Radio und Fernsehen live übertragen – wird viel Prominenz erwartet: neben Weizsäcker, Süssmuth, Kohl, Engholm, Lambsdorff, Leutheusser-Schnarrenberger und diversen Landespolitikern auch Siegfried Lenz, Erich Loest, Wim Wenders, DGB-Chef Heinz- Werner Meyer und BDI-Präsident Tyll Necker. Zumindest in Berlin wird inzwischen von Schulen über Gewerkschaften bis zu Unternehmerverbänden auf allen Ebenen mobilisiert. Die Grünen rufen zusammen mit Ausländer- und Menschenrechtsorganisationen zu einem eigenen Block auf, in dem „unübersehbar“ der Erhalt des Artikel 16 gefordert werden soll.

Gleich am nächsten Tag, dem 9.November, soll in Dresden nach einer Kundgebung gegen Fremdenhaß eine Menschenkette von der Frauenkirche bis zum Platz der jüdischen Synagoge am Brühlschen Garten gebildet werden. Dazu ruft der DGB Sachsen auf.

Im Zusammenhang mit dem Asyl-Sonderparteitag der SPD wird dann nochmal bundesweit demonstriert: am 14.November in Bonn. Im Mittelpunkt der Kundgebung, zu der unter anderem die Grünen, verschiedene SPD-Unterbezirke und Menschenrechtsgruppen aufrufen, soll „ein klares Bekenntnis zum uneingeschränkten Grundrecht auf Asyl“ stehen. Ute Scheub

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