: Schmiermittel als Alkohol
■ Viele Arbeitnehmer halten Arbeitsdruck ohne Suchtmittel nicht aus
nicht aus
Jeder zehnte Arbeitnehmer trinkt regelmäßig, jeder sechste Kündigung ist durch Alkohol verursacht. Vor allem in Betrieben, wo die Arbeitsbelastung hoch ist, wird viel gesoffen. „Manche Betriebe“, so der für Suchtprävention am Arbeitsplatz zuständige Psychologe Christian Hedder, würden ohne Alkohol gar nicht überleben. Dort, wo eine angespannte Situation vorherrscht, sei Alkohol als Schmiermittel durchaus toleriert.
Christian Hedder muß es wissen. Seit Jahresbeginn leitet der Mitarbeiter der „Landesstelle gegen Suchtgefahren“ in zwei Arbeitskreisen rund 700 Betriebsräte und Behördenmitarbeiter an, die sich mit diesem Problem befassen. Außerdem betreut er die rund 200 hauptamtlichen und nebenamtlichen betrieblichen Suchtkrankenhelfer, die sich aus Gründen der Einsicht der eine oder andere Hamburger Großbetrieb, wie der NDR und die HHLA, mittlerweile leisten. Doch während in großen Firmen die Beschäftigung mit dem Thema als Führungsaufgabe akzeptiert sei, wäre der Alkoholkonsum vor allem in Klein- und Handwerkbetrieben mit familiären Strukturen ein Problem. „Es gibt oft Leute, die würde man gerne in Therapie schicken, aber sie sind eben unentbehrlich.“
Um das Problem in den Griff zu bekommen, bedarf es eines feinabgestimmten Systems von Hilfen. Viele Alkoholkranke, so Hedder, lebten nach dem Grundsatz: „Solange ich meine Arbeit noch mache, ist alles ein Ordnung“. Ein Glaube, der oft nur durch entschiedenes Auftreten von Vorgesetzten erschüttert werden könnte.
Die Zahlen, die Christian Hedder gestern auf der Jahrespressekonferenz der „Landesstelle gegen Suchtgefahren“ vortrug, waren aber keineswegsbrandneu, sondern von 1984. Auch ist Alkoholsucht kein Zankapfel der aktuellen Tagespolitik, sondern Alltag. Die Ausführungen riefen denn auch bei einigen anwesenden Journalisten ein gewisses Desinteresse hervor. Eine Berufsgruppe, die ja bekanntlich auch unter hohem Arbeitsdruck leidet. kaj
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