■ Schöner Leben: Clubjacken-Connection
SCHÖNER LEBEN
Clubjacken-Connection
Jetzt, wo er tot ist, kann ich's ja sagen: Ich hab' Willy damals nicht die Daumen gedrückt. Ich hab' neben Vati auf dem Fernsehsessel gesessen, und der hat gesagt: Jetzt geht die Welt unter, merk' dir den Tag gut. Ich hab' ihn mir sofort gemerkt und sie schon gesehen, die rote Flut! Und ausnahmsweise durften wir eine halbe Stunde länger aufbleiben, damit wir noch ein bißchen was von der Welt hatten.
Wir, das sind nämlich die 33-39jährigen, also die, die jetzt grade berühmt werden in Büchern und Zeitschriften. Aber nicht wegen irgendwas Interessantem, sondern bloß wegen unserm Alter. Es ist jetzt nämlich raus, daß wir damals noch Clubjacken anhatten, als die andern schon das Schweinesystem wechgehauen haben. Und daß wir noch zwischen Willy und Vati hin- und hergerissen waren!
Daß wir in Südbaden siedelten war keine Entschuldigung. Unsern nagelneuen Deutschlehrer hat's gleich vor uns gegraust, und immer wieder hat er uns beschwören müssen: „Un wenn du mit daim Froind im Neschd ligsch, dann isch des boliddisch!“ Wir waren zutiefst beeindruckt und schrieben im nächsten Aufsatz — Thema: Wie konzipiere ich ein Flugblatt — eine Eins.
Toll, oder? Und jetzt heißt's überall, wir seien gleichzeitig zu spät, zu früh, ohne tolle Rolle und überhaupt so ohne Etikett. Und dann das Schlimmste: Wir seien '78er! Achtundsiebziger!! Dabei sind wir doch die letzten, die sinkende kleine Zeitungen über Wasser und der Selbstverwirklichung die Treue halten. Schließlich haben wir von unserm Deutschlehrer wirklich fürs Leben gelernt! Und daß wir uns von niemand was sagen lassen sollen, auch von ihm nicht.
Und heute, wo so gar keiner mehr was sagt, was wir überhören könnten, stehen wir manchmal ein bißchen dösig in der Gegend rum mit unserm antiautoritären Know-How. Manche überlegen bereits, ob sie jetzt nicht auch mal wen erziehen sollten. Oder mal jemand Bescheid sagen! Vielleicht wird aber vorher noch was aus uns. Theorien-Werfer am Ende. Claudia Kohlhase
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen