: Das Auge als Fenster der Seele
■ Pantomime Yanci im Freiraum-Theater: Der unwiderstehliche Reiz des Schweigens
Das Auge als Fenster der Seele
Pantomime Yanci im Freiraum-Theater: Der unwiderstehliche Reiz des Schweigens
Vorsichtig tastet sich der Pantomimen-Virtuose Yanci mit den Händen an der imaginären Wand entlang, erschleicht sich einen engen Gang. Schwungvoll wirft er eine unsichtbare Kugel von einer Hand in die andere. „Stellen Sie sich vor, es wäre eine schöne große Florida-Pampelmuse“, so versucht er mit Worten die wortlose Kunst der Pantomime den TeilnehmerInnen seines Workshops im Bremer Freiraumtheater zu erklären.
Doch Yanci selbst steht über den profanen Worten, wenn er an diesem Wochenende mit der Sprache des Wortlosen dem Bremer Publikum im Freiraumtheater seine Geschichten erzählt. „Ein echter Schauspieler muß sein Publikum mit Schweigen genauso in Atem halten können wie mit Worten“, meint der gebürtige Ungar, der heute in den USA lebt und arbeitet.
„Mit der Stille projiziert man eine besondere Art von Energie auf das Publikum“, sagt Yanci. Und das will gelernt sein. Yanci übte zu seiner Zeit auf dem Dach seiner Chicagoer Schauspielschule und schwieg in die Millionenstadt. Und zwar so häufig, daß man sogar schon im fernen New York wußte, daß „in Chicago so ein Idiot auf dem Dach steht und das Schweigen übt.“
„Im Theater wird den Zuschauern heute alles auf einem Silbertablett serviert: die Kulisse gibt alles vor“, meint Yanci. „Aber bei der Pantomime lebt alles von der Vorstellungskraft.“ Mit –wortgewaltiger– Körpersprache und Mimik werden Geschichten des Lebens erzählt, die den Umweg über das Wort, den Intellekt nicht nötig haben. „Die Pantomime berührt die Menschen an der Essenz des menschlichen Seins, denn das Auge ist das Fenster zur Seele“, philosophiert der Künstler Yanci.
Der gelernte Schauspieler wurde einst vom legendären Marcel Marceau entdeckt, wurde sein Schüler und Partner und spielte mit ihm jahrelang auf internationalen Bühnen. „Das Faszinierende ist, daß du am anderen Ende der Welt spielen kannst, und trotzdem verstehen dich die Menschen — 90 Prozent der Gestik und Mimik wird überall verstanden“, erzählt Yanci aus kosmopolitischer Erfahrung. „Pantomimen-Künstler können sich jenseits von Grenzen entfalten.“
Auch die eigenen Grenzen werden dabei überschritten: „Als Pantomimen-Künstler bin ich sozusagen ein universales, androgynes Wesen. Ich spiele Frauen ebenso wie Männer, jenseits von Hautfarbe, sozialer Herkunft oder Titeln.“
Yancis pantomimische Geschichten nehmen die Widrigkeiten des modernen Lebens aufs Korn. Der Kampf zwischen Mensch und Roboter, der sich in dem Gegensatz ruckartiger Bewegungen einer Maschine und der Geschmeidigkeit eines Menschen ausdrückt. Oder das Aufeinandertreffen von Mensch und Fernsehgerät: welche Auswirkungen hat es, wenn man sich einen Horrorfilm ansieht? Doch auch die kleinen, feinen Eigenarten eines Golfspielers, der „besessen von so einem kleinen Ding wie einem Ball ist“, werden von Yanci in Szene gesetzt.
In einer Welt, in der der Mensch ohne Unterlaß einer Geräuschkulisse ausgesetzt ist, ist Yancis Publikum froh, „wenn es einfach einmal still sein kann.“ Denn: „Die Menschen können heutzutage die Stille nicht mehr ertragen. Kaum droht ein Augenblick des Schweigens, greift man gleich zum Walkman, Radio oder Fernsehen.“ Und wie hält das Publikum seine Vorstellung aus? „Sie sind der Worte müde. Zwei Stunden ohne Worte sind genau richtig. Alles darüber hinaus wäre eine Überdosis.“ Silke Mertins
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