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Zornige Lektion

■ Der kubanische Autor Jesus Diaz in der Werkstatt 3

in der Werkstatt 3

Der Autor springt wütend auf, und man fragt sich, was ihn davon abhält, einen der Besucher seiner Lesung zu verprügeln, Fäuste werden gezeigt, vom Lesetisch fällt ein Wasserglas, das Publikum applaudiert. Über 100 Zuhörer waren Zeugen dieser Szene in der Werkstatt drei, wo der kubanische Schriftsteller Jesus Diaz und sein Übersetzer Wilfried Böhringer am Samstagabend Diaz' Roman Die verschwundenen Worte vorstellten, der im Frühjahr 1993 erscheint. Der bekannteste und umstrittenste kubanische Gegenwartsautor erzählt eine Geschichte der Zensur, die Ende der 60er Jahre in Kuba spielt.

Weltweit distanzierten sich damals Intellektuelle von der kubanischen Revolution, weil ein rigider Zensor das Land beherrschte. Diaz hat selbst Erfahrungen mit der Zensur machen müssen, sein Roman Die Initialen der Erde konnte erst mit zwölfjähriger Verspätung in Kuba erscheinen, obwohl er selbst drei Jahrzehnte für die kubanische Revolution gekämpft hat.

Aber wo Jesus Diaz, der derzeit an der Berliner Filmhochschule als Gastdozent lehrt, sich zeigt, geht es offenbar nicht nur um Literatur,

1sondern auch um die Gesinnung eines Schriftstellers, der seit Monaten einer Hetzkampagne ausgesetzt ist. Ein Zuhörer, vermutlich ein Landsmann von Diaz, ist nur zur politischen Diskussion gekommen. Er wirft Diaz vor, sich konterrevolutionär zu betätigen, die Kamera im Anschlag, die Bitte diese nicht einzuschalten ignorierend. Das ist der Augenblick, in dem sich Diaz nicht mehr beherrschen kann und wütend aufspringt.

Im Frühjahr diesen Jahres hatte sich Diaz bei einer Diskussionsrunde gegen die Kuba-Blockade der USA, aber auch gegen Fidel Castros Parole „Sozialismus oder Tod“ ausgesprochen. Seine Stellungnahme ging durch die Weltpresse, das Regime in Kuba hatte einen Sündenbock für seine Probleme gefunden und die dogmatische Linke einen Verräter der Revolution. Es seien Probleme des Systems, des Sozialismus, die in Kuba gelöst werden müßten, sagt er, und für sein Land wünsche er sich einen Konsens über die Zukunft und die Ablösung der korrupten Machthaber.

„Wenn ich mich frage, wie ich vor dem Spiegel meine Position zu rechtfertigen habe, dann kann ich nur antworten, ich habe nichts zu rechtfertigen, mich rechtfertigt mein eigenes Leben“. Tatsächlich gründet sich sein Ruhm nicht nur auf seine Aktivitäten als Gesellschaftskritiker, er ist „nur“ ein streitbarer Schriftsteller, der sich gegen dogmatische Engstirnigkeit wendet, einer, dem man Glück wünschen muß, auch und gerade nach diesen drei Stunden spannungsgeladener Lesung und Diskussion. Jürgen Abel

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