Klang, Bewegung, Raum

■ Kunst zum Ausschneiden (11) / Ein Rundgang durch die Weserburg

Die immateriellste aller Skulpturen in der Weserburg befindet sich im großen Giebelraum, im „Raum der Klänge“ von Hans Otte. Der Bremer Musiker hat die Arbeit 1989/1991 eigens für diesen Raum komponiert. Der eintretenden Besucher wird von einem tiefen Basiston eingeladen, den großen leeren Raum experimentierend zu erfahren.

Der Künstler vergleicht die Situation des dort eintretenden Besuchers mit einer theaterähnlichen oder der eines Reisenden: „So, wie man in einer fremden Gegend erst einmal aussteigt und sich erkundigt, wo ist hier was; man sichert sich ab. Und wenn man dann von diesem schönen tiefen Basisklang empfangen wird, kann eigentlich nichts mehr passieren, ermutigt geht man in die nächste Zone.“Das Klanghaus ist in vier unterschiedliche musikalische Zonen aufgeteilt. Mit jedem Schritt in den Raum ändern sich die Klänge, sie werden ständig höher und es scheint, als wollten sie sich gegen die Fenster ins Freie verflüchtigen.

Durch die Bewegung seines Körpers löst der Besucher selbst Klänge aus, die umso direkter und lauter werden, je näher er an die Sensoren herantritt. Die Töne kommen aus unsichtbaren Lautsprechern in acht Stahlträgern, die den Raum in die verschiedenen Klangbereiche gliedern.

Die ungewöhnliche musikalische Situation eröffnet eine Bandbreite an Erfahrungsmöglichkeiten, die es so in der Instrumentalmusik nicht gibt. Der Hörer kann sich ohne bestimmte Vorstellungen den flatternden, schwirrenden Klangfarben überlassen. Er kann die Dynamik der Klänge steuern, aus einer totalen Wachheit zurücktretend in einen perfekten Meditationsraum der absoluten Stille wechseln und dadurch auch mit sich selbst in Kontakt kommen.

Dieser im obersten Stockwerk unter dem Dach gelegene Klangraum wird bei Sturm schon von alleine klingen, und Hans Otte will mit den angebotenen Geräuschen „an Atem, Wind, Prana, ozeanisches odert weißes Rauschen erinnern“. Er will die Verbindung herstellen zwischen dem menschlichen Atem, dem Leben, welches atmet, dem Universum, dem Kosmos.

Diese Klangskulptur hat nichts „Elektronisches, Artistisches, sie hat einen spirituellen Hintergrund.“ Außer den beiden Tonplastiken von Norbert Prangenberg und einem Spruchband von Lawrence Weiner enthält der große Raum kein Kunstwerk. Der Hörer wird zum Produzenten, indem er beim Passieren der Sensoren die Klänge auslöst, steuert oder verstummen läßt; er wird zum Choreographen, beim Tanzen oder Abschreiten des Raumvolumens. Die Erfahrung der Bewegung im Raum, der angefüllt ist mit „vielfältigen Qualitäten eines einzigen Geräusches quer durch den ganzen Hörbereich“, die Erfahrung mit der verstreichenden Zeit, in der die BesucherIn selbst zu einem aktiven, lebendigen Teil der Klangskulptur wird, läßt sie/ihn animiert Zeit und Umgebung vergessen. Christine Breyhan