: Asyl-Streit in Niedersachsens SPD
■ Schröders und Glogowskis Bezirksparteitage entschieden: Hier Kritik, dort Unterstützung für Engholm
Unterschiedliche Beschlüsse zum Thema Asyl faßten SPD-Bezirkparteitage in Niedersachsen am Samstag. Der von Ministerpräsident Gerhard Schröder geführte SPD-Bezirk Hannover stimmte dessen Kompromißvorschlag zu und wandte sich entschieden gegen zentrale Punkte der unter Führung von Parteichef Björn Engholm getroffenen Petersberger Beschlüsse. Dagegen steht der SPD-Bezirk Braunschweig mit Innenminister Gerhard Glogowski an der Spitze in der Asylpolitik hinter Parteichef Engholm.
In Hannover votierten die 238 Delegierten bei nur zehn Gegenstimmen nach einer fünfstündigen Debatte für den Leitantrag, der eine eng umrissene Grundgesetzänderung nicht ausschließt. Dagegen wandte sich der Parteitag sowohl gegen die Einführung von Listen sogenannter Nichtverfolgerstaaten als auch die Abweisung von Asylbewerbung ohne oder mit falschen Personalpapieren, wie es die Petersberger Beschlüsse vorschlagen.
Ministerpräsident und SPD- Präsidiumsmitglied Schröder warnte davor, in der Asyldiskussion „Sachfragen mit Personalfragen zu verknüpfen“. Er sei sicher, daß Engholm auf dem Sonderparteitag in gut zwei Wochen „eine Entscheidung bekommt, mit der er Politik machen kann“. Aber die Partei behalte sich vor, eigene Akzente zu setzen, sagte Schröder.
Erheblichen Protest rief die Rede des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, hervor, der für die Linie von Parteichef Engholm warb. Er bezeichnete den hannoverschen Beschluß als unzureichend. Er löse die Asyl- und Einwanderungsprobleme nicht und trage „nicht gerade zur Stärkung des Parteivorsitzenden“ bei. Die „Regierungsfähigkeit der SPD“ für 1994 stehe auf dem Spiel. In Zwischenrufen wurde Struck „Erpressung“ vorgeworfen. Mit großer Mehrheit nahm der Parteitag einen Antrag an, wonach die SPD-Bundestagsfraktion vor einer Abstimmung zur Asylpolitik zuvor den Parteirat konsultieren müsse.
Am Rande des Parteitags geriet Struck mit Schröder heftig aneinander. Struck sagte, Engholm werde diskreditiert, wenn die Petersberger Beschlüsse von der Partei nicht vollends mitgetragen würden. Schröder wies dies als völlig überzogen zurück und hielt Struck vor, mit seinen Drohungen und Dramatisierungen der Partei wesentlich mehr zu schaden. Schröder ließ im Gespräch mit Journalisten nicht erkennen, inwieweit sich Engholm und er in bisherigen Beratungen haben annähern können. Er hielt aber seinen Kompromiß auf dem SPD-Parteitag weiterhin für mehrheitsfähig.
Eine Mehrheit hält der stellvertretende Ministerpräsident Gerhard Glogowski dagegen für den Beschluß seines Braunschweiger SPD-Bezirks für möglich. Er ist in großen Teilen mit den Petersberger Beschlüssen identisch, ergänzt und präzisiert sie aber in der Frage sogenannter –Länderlisten“. Glogowski würdigte Engholms Vorstoß als „großartig“. Er habe die Diskussion um den Asylartikel im Grundgesetz „enttabuisiert“. Bundesvorstandsmitglied Norbert Gansel warb in Braunschweig um Vertrauen für die Parteispitze. „Ich sage das, weil uns und insbesondere Björn Engholm in den letzten Tagen Unterstellungen gemacht worden sind, wie wir sie sonst nur vom politischen Gegner gewohnt sind“, betonte er.
Der hannoversche Leitantrag beharrt im Gegensatz zur Linie der SPD-Führung darauf, das Individualrecht auf Asyl ebenso wie die Rechtswegegarantie im Grundgesetz beizubehalten. Bürgerkriegsflüchtlinge sollen einen eigenen Status bekommen und nach einem vorübergehenden Bleiberecht kein Anrecht auf Asyl mehr haben. Hierfür und für eine europäische Harmonisierung des Asylrechts wird eine Ergänzung des Grundgesetz-Artikels 16 für möglich erachtet.
Der Bezirksparteitag Hannover sprach sich auch mit großer Mehrheit gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an miitärischen Einsätzen außerhalb der Nato aus. Eine Grundgesetzänderung sei, entgegen dem Votum der Parteiführung, nur für die Teilnahme der Bundeswehr an friedenserhaltenden Blauhelmeinsätzen der UNO- Truppen möglich. dpa
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