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Reise in die Imagination

■ Bauverwaltung bietet Sonderfahrten zu möglichen Olympia-Sportstätten an

Berlin. Im Grunde gleicht die „Städtebauliche Sonderfahrt zu den Olympia-Sportstätten 2000“ einer Reise in die Imagination, gibt es doch kaum mehr als Pläne und Pappmodelle des unsicheren Vorhabens – das Olympiastadion mit Maifeld von Werner March aus dem Jahre 1936 einmal ausgenommen. Also werden die rund 25 Interessierten und ein Filmteam mit einem Programmheft zu Fahrtbeginn am „Berlin Pavillon“ ausgestattet, das die Zukunft ausmalt: Ein städtebaulicher Entwurf für das Olympische Dorf in Ruhleben etwa schiebt lange Häuserzeilen in das Waldstück zwischen S-Bahn- Damm und Friedhof. Im Bezirk Mitte wetteifern zwei Investoren mit plumpen Mehrzweckhallen sowie Wohn- und Dienstleistungstürmen um die Gunst der Olympiafans. Maulwurfartig geben sich die Projekte am Prenzlberger Jahn-Sport-Park und auf dem Gelände der Werner-Seelenbinder- Halle. Über die Konstruktion des „Olympia-Express“ oder die Überlegungen, die Schlachthöfe als Wohnbauten der Medienvertreter umzubauen, schweigt sich das Konzept aus. Präsent ist allein das gelbe Logo-Bärchen.

Sicher, die Busrundfahrten am Wochenende der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen zu Olympia-Werbezwecken sind auch Reisen vorbei an der Vergangenheit. Zum Auftakt stehen die Gäste hoch auf dem Glockenturm über dem Maifeld und blicken in den Herbstwald hinunter. Was geschieht mit dem Nazi- Gelände, dem Olympiastadion, der Langemarckhalle? Statt sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, hören die Busgäste, daß dort hinter der Murellenschlucht, „nur mit Olympia“, rund 2.500 Wohnungen entstehen könnten. Das klingt wie eine Drohung, wie hier die Olympiade insgesamt nur als Drohung ins Bewußtsein rückt.

Von dort aus geht es quer über die Nord-Bahn-Trasse, deren Erleben ein aufgeständerter „Olympia- Express“ schmälern würde. An der zweiten Station, dem Stadion der Weltjugend, ist der Bus vorbeigebraust, vorbei am Jahn-Sport- Park, vorbei an der Werner-Seelenbinder-Halle, an der in dieser Woche die Abrißarbeiten beginnen. Auf der Stralauer Halbinsel wirft der Bus eine Menschenladung an das Spree-Ufer, an dem sich im Jahr 2000 die olympischen Funktionärsbauten im Wasser spiegeln sollen. Die Reise endet hier. Es bleibt eine ausgestanzte Erinnerung. Die teure Idee, die gespaltene Stadt durch die Olympiade zusammenzuführen, stützt sich auf das Konzept einer „Infrastrukturverbesserung“. Sie lockt mit dem Versprechen, für die vage anzulegenden 3,4 Milliarden Mark Ausgaben die Modernisierung des Ostteils der Stadt zu beschleunigen. Stadtverträglich und urban, nacholympisch nutzbar, verkehrs- und umweltfreundlich heißen denn auch die Losungen, die während der Busrunde wie Wiederholungstäter vorgeführt werden. Von der sicheren Verdrängung der Anwohner rund um die olympischen Arenen oder den ungemachten Rechnungen ist dabei nicht die Rede. Rolf Lautenschläger

Die Städtebaulichen Sonderfahrten zu den Olympia-Standorten finden an den Wochenenden bis zum 29.11. statt, Vorverkauf bei SenBauWohn, Württembergische Straße 6, Zimmer 1510.

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