: Was der Märchenonkel aus Amsterdam erzählt
■ „SCHADE/schade“: ein Solo von Tom Jansen und seinem Regisseur Jan Lauwers am Theater am Turm in Frankfurt
Schauspieler wie Martin Wuttke oder Ulrich Wildgruber kreuzen durchs Feuilleton, als gehöre es ihnen. Wer in Deutschland nach Schauspieler-Namen fragt, sagt zwar auch ein bißchen Voss, ein wenig Schmidinger und kennt spontan dazu ein paar Damen; aber die Wildgrubers, die Wuttkes bleiben im Gedächtnis anders haften. Nachdenkliche, unfanatische, couragierte, intelligente Schauspieler. Ihr Anarchismus ist so verträglich, daß es ihnen jede Kaffeedame nachsähe, wenn ihnen einfiele, mit chinesischen Vasen Basketball zu spielen. Über den Text nuscheln und fallen sie eher, als daß sie ihn tragen, aber sie stellen sich ihm – Wildgruber nimmt sich des Textes wie einer nicht funktionierenden Melkmaschine an, Wuttke wie einem Hydranten, der bei Feuer nicht funktioniert.
Tom Jansen gleicht einem Rasenmäher mit Automatikgetriebe, der alles von allein macht. Er lehnt in der Inszenierung des Flamen Jan Lauwers so übers Stehpult, Brille auf der Nase, amüsiert, daß auf der anderen Seite das Publikum sich weit, weit zurücklehnt, die Arme verschränkt und grinsend zurückstarrt. Der Märchenonkel aus Amsterdam hat uns eine Geschichte mitgebracht. Sein Regisseur baute ihm ein schwebendes Podest aus Beton vor einem Betonpfeiler auf der TAT-Probebühne in Frankfurt. An den abgeschlagenen Backsteinwänden hängen leere Bilderrahmen aus Beton. Wir sind in Damaskus, im Orient, in einem kühlen Raum und haben eine diebische Freude. Bei Jan Lauwers Inszenierungen schwebt stets die Ironie durch den leeren Raum. Das macht seine glühende Abstraktion, seine entsetzliche Unterlassung von Zutaten so menschlich. So friedlich.
Tom Jansen erzählt aus seiner Jugend. Der flämische Akzent knirscht zwischen Zunge und Zähnen. Er erzählt von den Versatzstücken seiner Phantasien, die sich verblüffend mit denen seines Landsmanns Jan Fabre kreuzen. Wie dieser hat er immerzu Kreuzkröten und Stabheuschrecken im Kopf. Seine Begegnung mit einer Ratte verändert sein Leben. Die Fauna, das Gefleuch ist der liebe Gott, der zur Einkehr lädt. Die Kanzel, von der er seine Jugend heruntergießt wie Meßwein, ist ein wundersamer Anachronismus. Botschaften hat Tom Jansen keine. Für Memoiren besteht kein Anlaß. Es ist wie in Damaskus, in einem Kaffeehaus. Die Männer stoßen ihren Löffel in den zuckererstickten Mokka und halten die Köpfe gesenkt. Auf einem Tisch steht ein Stuhl, drauf sitzt einer der niemals aussterbenden Märchenerzähler. Er schaut sein Publikum nicht an, das Publikum scheint von der warmen, hohen Stimme keine Notiz zu nehmen und schweigt, in eigenen Gedanken versunken, mit einem halben Ohr nur bei der Story, die niemals behaupten wird, eine spannende Story zu sein.
So auch Tom Jansen, Jahrgang 1945, der in Lauwers' „Julius Caesar“ zuletzt einen brillant-relaxten Antonius wie aus einer Joint-getränkten linken Anwaltskanzlei und in „Invictos“ den betrunkenen Ernest Hemingway gab, schiere Überlegenheit in einem warmen, tonlosen Lachen. Hemingway war er imstande mit nur dieser Miene vollständig zu zeichnen. Sein Regisseur Jan Lauwers, der sonst ein ausgeprägtes Faible für inszenierte Pannen und Tänzchen zwischen zwei Sinnabschnitten besaß, hielt sich so zurück wie sein Landsmann Jan Fabre. Beider Kunst entspinnt sich derzeit bei solch gemütlichen Solos, unaufwendigen Inszenierungen. Während aber Fabre zunehmend im Mysterium nach dem Horror und der Leidenschaft forscht, treibt es der lieb ironische Lauwers immer menschelnder, immer rudimentärer, immer orientalischer.
„SCHADE/schade“ heißt das Solo, deutsch und flämisch. Auf flämisch heißt „schade“ Unfall, Schaden, Verletzung. Ihr Bedauern über ein Unglück schreiben die Holländer gleich mit rein in ihr Vokabular des Unangenehmen. Entsprechend inszenieren sie auch, mit federleichter Hand, puristisch, aber ohne deutsche Schwerkraft. Tom Jansen darin wirkt wie der Protagonist der lächelnden Weisheit, die Lao-tse-gemäß nun gar nichts Rechtes mehr zu sagen weiß und seine Erzählung gleichermaßen um nichts und sich selbst auf die Plauderreise schickt. Lauwers' Kanzel wird zum Sofa eines Salons bei Freunden. Allein das Publikum saß noch wie in der Kirche, geeicht auf literarisch-ernste Aufmerksamkeit. Säße es in Dreh-, Liege- oder Schaukelstühlen – es hätte sich gewiß leichter in eine orientalische Geduld des Zuhörens gefügt als der allzu deutsche Versuch diesmal, das Publikum mit einer biederen Dia-Show zu zwingen, immerzu geradeaus zu schauen. Arnd Wesemann
SCHADE/schade von Tom Jansen und Jan Lauwers, Produktion des TAT Frankfurt und des Nationaal Fonds Amsterdam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen