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happy bauhaus

Günter Behnisch baut den neuen Bundestag in Bonn  ■  Von Carl Friedrich Schröer

Repräsentationsbauten sind schwer belastet. Vom Dachfirst bis zum Fußbodenbelag wird alles symbolisch gedeutet, weil sich hinter den einmal ausgewählten Formen auf komprimierte Weise etwas Verborgenes ausdrückt. Repräsentation bedeutet schließlich Selbstinszenierung. Selbst für das unter allerlei vertrauten Harmlosigkeiten agierende Bonn gilt: Es gibt kein politisches Sein ohne politisches Design. Der Versuch, sich ausgerechnet beim Bau eines neuen Parlaments daran vorbeizumogeln, wäre blauäugig. Aber Günter Behnisch kennt sich bestens aus mit dem heiklen Inszenierungsproblem der Politik. Spätestens mit seinem Münchner Olympiapark 1972 hat er bewiesen, wie sicher und wirksam er bauliche Vehikel für die Darstellung und die Vorstellung von Politik findet. Es gibt einfach keinen profilierteren Architekten in Deutschland, dem zuzutrauen war, dem „baulichen Herz der Republik“ eine repräsentative Gestalt zu geben, die den chronischen Souveränitätsverlust des Parlaments durch eine schöne, heitere Vision überhöht. Und Behnisch baute und baute mitten ins heillose Bonner Baudurcheinander eine wundervolle, alle Selbstzweifel, alle Verdrossenheit, alle Anfeindungen und Affären souverän überspielende Halle. Am Ende fand der inzwischen siebzig Jahre alt gewordene Baumeister, Wahlschwabe aus Sachsen, seine „Metapher für das Ideal unserer gesellschaftlichen Ordnung“: eine Schaubühne. Ab sofort wird dort im weiten Rund gespielt – das Deutsche Parlament tagt.

„Das Ergebnis“, so forderte Günter Behnisch immer wieder, „sollten wir so lange wie möglich offenhalten; wir müssen mit offenem Ende arbeiten.“ Zwanzig Jahre hat es vom ersten Wettbewerb bis zur Eröffnung schließlich gedauert. Am Ende hat es zu lange gedauert: der Bau ist vorzüglich gelungen, nur steht er jetzt am falschen Platz. Wie lange auch immer der Behnisch-Bau seinen Dienst als Bundestag noch tut – sechs, zehn, vielleicht zwanzig Jahre –, in seiner symbolischen Aussage ist er beschnitten: Seit dem Umzugsbeschluß steht er nicht mehr für Demokratie und deutsches Parlament schlechthin, sondern nurmehr für die abgewählte, durch Bonn geprägte Version.

Kurz vor seiner Fertigstellung beschlossen die versammelten Bauherrn am 20. Juni 1991 den Umzug nach Berlin. Damit wurde dem schönen, heiteren Parlamentsneubau plötzlich die Zukunft genommen. Denn die erste architektonische Vergegenwärtigung eines Staates sind nicht die Staatsgebäude, sondern die Stadt, in der sie stehen: die Hauptstadt.

Zur Schmach dazu fällt die Eröffnung des Bonner Glanzstücks in eine Zeit, da in Berlin bereits der Wettbewerb für den Umbau des Reichstags zu einem neuen Bundestag in vollem Gange ist. Das läßt den nagelneuen Bonner Bundestag alt aussehen. Ein Denkmal bereits mit der Eröffnung. Wie aus den besten Tagen der Bonner Republik, als man den Muff und die Verklemmungen der frühen Jahre endlich abstreifte, um mehr Demokratie zu wagen. Von der Begeisterung von einst wird der Bau getragen, und es bleibt eine große Leistung (auch sein Geheimnis), wie der Architekt dieses bundesrepublikanische Aufbruchspathos beinahe unverbraucht über die Jahre konserviert hat, gegen die hydraköpfige Riege der Bedenkenträger in Bonner Baubürokratien, gegen weitgehendes Desinteresse und Indolenz der Abgeordneten und zunehmende Ansprüche an monumentales Repräsentations-Tam Tam. Behnisch gelang, was man im biederen Bonn schon nicht mehr für möglich halten mochte: offene Architektur par excellence, dabei kompromißlos und anspruchsvoll, von ungewohnter Gelassenheit, selbstsicher und damit herausfordernd. So steht der Bau auch als ein Beweis dafür, was die „unästhetische Demokratie“ (Walter Grasskamp) in Bonn zuletzt doch zuließ und ermöglichte: große Architektur. Problematisch wird politisches Design erst dann, wenn es den Blick auf politisches Sein ablenkt.

Schon im Olympiajahr 1972 gewann Behnisch & Partner (neben drei anderen Büros) den Bauwettbewerb „zur endgültigen Unterbringung des Deutschen Bundestags und des Bundesrats“. Damals mit der Verteilung der Verfassungsorgane auf mehrere solitäre Neubauten zu Füßen des Abgeordnetenhochhauses von Egon Eiermann. Daraus wurde nichts. Statt „Brasilia am Rhein“ begann man Anfang der achtziger Jahre in alter Bescheidenheit von vorne: Den vorhandenen Plenarsaal des alten Akademiegebäudes von 1930 (durch Regierungsbaumeister Martin Witte) wollte man technisch in Ordnung bringen, an Stelle der als Foyer dienenden Turnhalle sollte ein neues Eingangsbauwerk genügen, damit das Bundeshaus sich der grünen Mitte und auch der Stadt zuwende. Als man auf erhebliche Baumängel in der alten Aula stieß, die Hans Schwippert 1949 rasch und provisorisch zum Plenarsaal umgebaut hatte, entschloß man sich doch zum Abriß des denkmalgeschützten „Glaskastens“. Das Bauprogramm lepperte sich über zehn Jahre auf ein Volumen von schließlich fast 30.600 qm zusammen, wobei der Plenarsaal mit 1.230 qm für 662 Abgeordnete samt Regierungs- und Präsidiumsbänken kaum ins Gewicht fällt. Die Ansprüche wuchsen, auch die der Sicherheit und fernsehgemäßen Technik. Am Ende wurden 256 Millionen Mark verbaut. Ins Programm aufgenommen wurden Sanierung und Umbau des Altbaus, neue Eingangshalle, Lobby und Wandelgänge, Räume für den Besucherdienst, Empfangssuite mit Speisesaal und Büros für die Bundestagspräsidentin, ein neuer Präsidialanbau mit Räumen für die Vizepräsidenten und den Bundeskanzler, das Restaurant mit 400 Plätzen, die Küche, eine Bar, ein Wintergarten, schließlich noch ein paar Mark für die Grünanlage; obendrauf (aus den Mitteln für „Kunst am Bau“) noch einmal 4,4 Mio. Mark für sechs Kunstwerke. Man kann das angemessen nennen. Interessanter ist die Frage, wie das Geld verbaut wurde.

Der neue Plenarbereich fügt sich ergänzend und doch selbstbewußt zwischen den Altbau der ehemaligen pädagogischen Akademie, einem seltenen Beispiel der weißen Bauhaus-Architektur der dreißiger Jahre und die eher bieder-klotzigen Erweiterungsbauten des Bundestages von 1949 und ihre noch gesichtsloseren Ergänzungen in den fünfziger Jahren. Auch das benachbarte Abgeordneten- Hochhaus von Egon Eiermann wurde in seiner sympathisch nonchalanten, aber indifferenten Loggia- und Segeltuchverkleidung ernst genommen und als ein wichtiges Vorbild herangezogen.

Der Behnisch-Bau ist in die zum Rhein abfallende, terrassierte Parklandschaft eingebettet. Parlamentarier und Besucher betreten auf gleicher Ebene, aber durch getrennte Eingänge, den großflächig verglasten Eingangspavillon. Schon von außen gewährt das neue Zwischenstück einen tiefen Blick ins Innere – und wieder hinaus ins Freie und Grüne der Rheinaue. Ursprünglich sollte die Halle für das Publikum offen sein, also Teil des Parlamentsplatzes. Am groben Zementfußboden drinnen wie draußen erkennt man die schöne Absicht noch heute. Dort, wo man eigentlich eher lässig durch die Membran aus Glas schreiten sollte, sind heute Sicherheitsschleusen aus Panzerglas. Tribut an die Unruhe im Lande. An anderen Stellen konnte solche „bitterste Veränderung“, wie der Architekt beklagt, „im schönen Schein architektonisch gelöst werden.“

Der schöne Schein entfaltet sich dafür hinterm schußsicherem Panzerglas aufs Angenehmste, auch Anregendste. Kein neudeutscher Materialprotz, keine staatstragende Feierlichkeit oder leerer Repräsentationsgestus. Das Bauen in der Lücke hat Behnisch souverän gemeistert. Er entspricht den ästhetischen Vorgaben der angrenzenden Gebäude, nimmt das scheinbar Sachliche, Klare, Direkte, Sparsame der Pädagogischen Akademie auf und entwickelt es weiter, wird vielfältiger, gelöster, durchsichtiger und weniger materiell. Sein Bau erscheint als stimmungsvolle Collage aus Raum, Form und Farbe; spielerisch – nicht verspielt; zwanglos – nicht harmoniesüchtig; Chaos wird eingebracht – aber nirgends herrscht Unübersichtlichkeit. Der neue Bau der deutschen Demokratie präsentiert sich, zumal in der Eingangshalle und in der Lobby, als happy bauhaus. Geschichtslosigkeit kann man auch diesem deutschen Parlamentsbau nicht worwerfen, er steckt tief in der Bauhauskiste.

Der Plenarsaal, als gläserner Schrein frei in das umlaufende Glashaus gestellt, gibt sich ernster. In 11 kreisrunden Stufen fällt das Plenum wie ein flaches Amphitheater zur Mitte ab. Dort sitzen auf runden Schemeln die Stenografen, drumherum die Parlamentarier in weiter Runde. Nur die vorderen Reihen verfügen über Pulte, die äußeren 460 Sitze nicht. Das trägt zur „optischen Fülle“ bei, selbst wenn der Saal nur von ein paar Abgeordneten benutzt wird, im Schnitt sind es 3 Prozent.

Über die kreisrunde Sitzordnung haben die Abgeordneten ausgiebig gestritten und sich dem Vorschlag Behnischs schließlich angeschlossen. Der folgte wohl der überkommenen Vorstellung, das Parlament sei noch das Gespräch unter Honoratioren. In Bonn stehen die 54 Sitze für die Regierung und den Bundesrat auf gleicher Ebene wie das Parlament. Nur die Bundestagspräsidentin erhält einen herausgehobenen Platz. Solche Anordnung suggeriert Harmonie und Eintracht und verdeutlicht, daß der Bundeskanzler vom Parlament gewählt und nicht mehr vom Monarchen oder Reichspräsidenten bestellt (oder abberufen) wird. Aber der hier erstmals geschlossene Kreis negiert die wichtigste Einrichtung der parlamentarischen Demokratie, die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung. Von Kontrolle der Regierung und Verwaltung keine Spur. Schon beim Eröffnungsakt des neuen Hauses übermächtig das Bild der Allparteienkoalition samt Regierung. Für Erbauungsstunden und für eine das angeknackste Selbstvertrauen stabilisierende Gruppendynamik tauglich, für die Opposition keine Chance.

Die Stirnwand steht frei und leicht gekrümmt im offenen Rund wie eine Kinoleinwand. Dazu paßt der neue Aluminiumadler. Nur das „Erscheinungsbild“ des Originals wurde nach Protesten erhalten. Der Gies-Adler, immerhin der Entwurf eines von den Nazis verfemten Künstlers, liegt irgendwo zersägt im Keller der Bundestagsverwaltung.

Kunst gibt es sonst im Bau bemerkenswert viel, auch scheute man nicht schwierige, womöglich kritische Positionen. So bestellte man sogar neue Arbeiten bei Rebecca Horn und Olaf Metzel, ohne wissen zu können, was die Künstler liefern werden. Verblüffender als solcher Mut ist freilich der kreative Einsatz des Architekten bei der Gestaltung künstlerischer Bauteile. Eine vergleichbare Schau von kuriosesten Treppengeländern hat es hierzulande nicht gegeben. Dagegen wirken der Bronzeguß eines Beuys-Teils und selbst Nicola de Marias Farbrausch im Restaurant harmlos. Der Architekt behauptet sich spielend als der größte Künstler.

Was hat symbolische Architektur mit politischer Glaubwürdigkeit zu tun? Die Verführung liegt nahe, das mangelnde Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit des politischen Systems durch symbolische Surrogate zu sichern. Doch erhöht solcher Übergang von Politik zu Politikdarstellung nur das Risiko. Durch Symbole, Rituale und Rhetorik werden Erwartungen produziert, denen man am Ende nicht mehr gerecht werden kann. In diese Glaubwürdigkeitslücke stolpert, wer sich ein Parlament bauen läßt, das viel schöner und gelöster ist, als es die ach so komplexe Wirklichkeit erlaubt.

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